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»Incubus! Incubus!
Tritt hervor und mache den Schluß.«
(Goethe, Faust I, Z. 1290-1291)
Man stelle einen großen Topf auf den Herd, werfe unter ständigem Rühren ein paar extrem durchgeknallte Super-Antihelden mit menschlichem Innenleben hinein, nenne sie »Metawesen«, füge einen Batman- und einen Flash-Cameo hinzu, lasse eine extraterrestrische, uralte, prä-archaische Hexe auf die Menschheit los, würze das Ganze mit einer weiblichen Samurai-Nachahmung und ein wenig europäischer Dämonologie für den Hausgebrauch und fertig ist das filmische ... Halt! So einfach ist es denn dann doch nicht.
Ich muss zugeben, die Trailer hatten mich nicht wirklich geflasht, was aber auch daran liegen könnte, dass es die Comics, auf denen dieser Film basiert, noch nicht gab, als ich in den 1980ern noch Comics las ... las? Ach was, verschlang! Hauptsächlich Batman und Superman, allerdings auch sehr oft die Konkurrenzcomics von Marvel. Trotzdem wollte ich den Film sehen, irgendwas an ihm zog mich dann doch ins Kino.
Die Handlung ist relativ schnell erzählt: Amanda Waller (Viola Davis (*1965)), eine geheime Regierungsbeamtin – ihre wirkliche Stellung bleibt im Dunkeln, stellt eine Einheit von unglaublich gefährlichen, metabegabten Superschurken zusammen, zwingt sie durch eine Minibombe (Nano-Implantat), die man ihnen in den Hals impliziert, für sie in lebensgefährliche Einsätze zu gehen und die Welt gegen übernatürliche Bedrohungen zu verteidigen. Fertig ist das »Selbstmordkommando«-Setting, man macht den Bock zum Gärtner, und generiert eine Menge Pseudo-Antisuperhelden, die sich selbst, und über weite Strecken auch das schwache Drehbuch, tragen müssen und deren Schauspieler, aufgrund ihres hohen Könnens und ihres großen Formates doch tatsächlich aber der zweiten Hälfte des Films eine Tiefe in das Ganze bringen, die man nach der ersten Hälfte weder erwartet noch vermutet hat.
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Die Anti-Superhelden, die hier eingeführt werden, zeigen allerdings in besonderem Maße heroische und aktive Charakterzüge, ergreifen relativ schnell die Initiative und stehen den Ereignissen weder hilflos oder handlungsunfähig noch passiv oder resignativ gegenüber. Sie sind also wahre Helden und nur dadurch, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, Mörder- und Verbrecherbiographien aufweisen können, also üble Jungs und Mädchen sind, werden sie noch lange nicht zu klassischen Antihelden. Dies zum einen.
Zum anderen muss man sich klarmachen, dass es sich hier erst um eine Exposition handelt. Bei der Menge unterschiedlicher Charaktere, die die Suicide Squad beherbergt, benötigt das natürlich seine Zeit. Jede Figur will nachvollziehbar gezeichnet und ihre Hintergrundstory muss in das Ganze eingebunden sein. Und das geht natürlich zulasten des Plots, der dadurch arg verkürzt wird und an Plausibilität einbüßt, gerade, was die übernatürlichen Vorgänge betrifft. Sehen wir uns also die Truppe einmal an.
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Die gesamte Truppe wird unter das Kommando des zunächst widerstrebenden Oberst Rick Flag (Joel Kinnaman (*1979)) gestellt, der auch das entsprechende (emotionale) Bindeglied zu ihrem ersten und im Rahmen der Handlung auch einzigen Auftrag bildet. Denn dessen Freundin, die Archäologin Dr. June Moone (Cara Delevigne (*1992)) ist von der eingangs schon erwähnten prä-archaischen Hexengöttin Enchantress (engl. für »Zauberin«, »Hexe«, »bezaubernde Frau«) besessen. Die beiden Seelen in dem Körper der attraktiven Frau können durch das Schlüsselwort »Entchantress« jeweils die Führung über den einen Körper übernehmen. Ein unfreiwilliger faustischer Effekt (»Zwei Seelen wohnen, ach!, in meiner Brust,/Die eine will sich von der andern trennen.« Goethe, Faust I, Z. 1112-113), der hier eine ganz andere Art der Interpretation eröffnet.
Diese Enchantress flieht nämlich, befreit ihren Bruder Incubus, um, wie zu erwarten, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Hier sollte man sich daran erinnern, dass in den Hexenprozessen des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit der »Incubus« (von lat. incumbere = sich auf etwas legen, auf etwas schwer lasten) die männliche Verkörperung des teuflischen Dämons ist, der mit den Frauen den Beischlaf vollzieht. Er ist die Gegengestalt des weiblichen »Succubus« (von lat. succumbere = sich einem Mann hingeben), der mit Männern geschlechtlich verkehrt. In der damaligen Zeit galten beide Formen als Manifestationen des Satans, der auf diese Art und Weise mit den Menschen verkehrte. Auch hier gibt es einen Bezug zu Goethes Faust, den ich eingangs schon erwähnte. Die Enchantress allerdings hier als Succubus zu bezeichnen, nur weil ihr Bruder den Namen Incubus trägt, geht wohl etwas zu weit. Man sieht aber mal wiedersehr schön, wie Filmemacher, Drehbuch- und Comic-Autoren mit solchen Begrifflichkeiten spielen und auf diese Art und Weise dafür sorgen, dass dieses alte Wissen nicht verloren geht und – wenn auch nicht immer korrekt – tradiert wird.
Flag bekommt zu seinem Schutz noch als eine Art Bodyguard eine weibliche Schwertkämpferin zur Seite gestellt, die auch noch auf den Namen »Katana« (Karen Fukuhara (*1992)) hört. Das Katana ist das japanische Samurai-Schwert. Das Katana, dass sie mit sich führt, ist aber auch auf mysteriöse Weise magisch, denn es beinhaltet einen Geist. Dieser Charakter ist auf seine Art eine interessante, indirekte Reminiszenz an den Titel des Films. Denn das Selbstmord-Kommando geht ja zurück auf die Shimpū Tokkōtai, die Kamikaze-Spezialtruppen der Japaner, die in den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs 1944 und 1945 durch Selbstmordangriffe gegen Schiffe der United States Navy, Royal Navy und Royal Australian Navy zu einer zweifelhaften Berühmtheit gelangten.
Die Truppe muss nun also gegen diese Bedrohung zu Felde ziehen. Und, so viel darf schon mal verraten werden, natürlich gelingt es, unter Aufbietung aller Kräfte und vor allen Dingen im Team vereint, die Gefahr abzuwenden. Doch das ist nicht das eigentlich Interessante an dem Film, dessen Plot ruhig zu vernachlässigen ist. Das eigentlich Wichtige sind hier die Charaktere und ihre Entwicklung. In diesem Fall setzt sich der Film mit der tief verwurzelten Soziopathie der Amerikaner auseinander und spiegelt den oftmals scheiternden Bewältigungsversuch der nationalen Vergangenheit und Geschichte. Glaubt man dem entsprechenden Wikipedia-Artikel, bezieht sich nämlich die heutige Bedeutung des Begriffes Soziopath »entweder auf psychopathische Personen, die nicht oder nur eingeschränkt fähig sind, Mitgefühl zu empfinden, sich nur schwer in andere hineinversetzen können und die Folgen ihres Handelns nicht abwägen können, oder – gemäß anderer Definitionen – sind Soziopathen keine Psychopathen, sondern grundsätzlich zur Empathie befähigt, verhalten sich aber dennoch antisozial.« (abgerufen am 21.08.2016, 17:56 Uhr) Da dies ein Begriff aus der anglo-amerikanischen Psychiatrie ist und es sich hier um einen US-amerikanischen Film handelt, kann man die Mitglieder des »Selbstmord-Kommandos« ruhig im Sinne der zitierten anderen Definitionen als Soziopathen bezeichnen.
Und so ist die beste und auch vielleicht wichtigste Szene, die den ganzen Film rettet, die ihm eine ungeahnte Tiefe und Aussage verleiht, gerade eine Szene, in der keine Action vorkommt, eine Szene, die man am besten als die Ruhe vor dem Sturm bezeichnen könnte und in der die Schauspieler in einer Art Kammerspiel im Gangsterstyle die verschiedenen Seiten ihres jeweiligen Charakters beleuchten. Sie sprechen miteinander, setzen sich mit dem Gegenüber auseinander, gestehen sich ihre Übeltaten, verachten einander für das, was sie getan haben, fordern sich aber auch gegenseitig dazu auf, zu dem zu stehen, was man verbrochen hat, da man es nicht ungeschehen machen, sondern im besten Fall nur verarbeiten kann. Diese Szene, diese Selbsthilfegruppe widerwillen, dieses Kammerspiel innerhalb des großangelegten Action-Dramas ist nach meinem Dafürhalten eine wahre Perle der Filmgeschichte und allein deswegen sollte man sich »Suicide Squad« ansehen.
Denn es gilt – mal wieder –, hinter all der exzessiven Gewalt, hinter all dem Macho-Superhelden-Getue, hinter all den knallharten Schalen den Menschen zu sehen, der durch Erfahrungen und die eigenen Taten im Leben zu dem wurde, was er ist. Und wieder bewahrheitet sich die alte Wahrheit, die bereits Danny DeVito (*1944) 1994 in »Mr. Bill (Renaissance Man)« seinen Schülern einbläut: »Die Entscheidungen, die wir treffen, bestimmen das Leben, das wir führen. Bleib dir selber immer treu.«
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass »Suicide Squad« ein typischer erster Akt ist, eine weit ausgreifende Exposition, die sich zwar den halben Plot zerschießt, weil sie eine Menge neuer alter Charaktere einführen muss, was zu Ungunsten der Logik der Geschichte geht, die aber eine erstaunliche Leistung im Bereich der amerikanischen Gesellschaftskritik vollbringt, indem sie sich – zugegebenermaßen im Gangsterstyle – an das schwere Thema der amerikanischen Soziopathie und Geschichtsbewältigung herantraut und, wenn auch keine Antworten, so doch wenigstens Ansätze liefert, die bedenkenswert sind. Über Jared Letos Joker-Darstellung will ich in diesem Zusammenhang hier aus Platzgründen nichts sagen, denn alleine das wäre einen eigenen Beitrag wert. Ebenso wenig kann ich hier die Diskussion eröffnen, ob es Regierungen, hier im Speziellen die Amerikanische, mit ihrer Willkür in der Beugung von Gesetzen nach dem Motto »der Zweck heiligt die Mittel« nicht zu leicht nehmen, denn dafür steht der Charakter Amanda Waller.
Da »Suicide Squad« direkt an »Batman vs. Superman: Dawn Of Justice« anschließt, den ich ebenfalls auf diesem Blog besprochen habe – zu Beginn des Films gibt es entsprechende Bilder von Supermans Beerdigung, spielt auch die Diskussion über die »Metawesen« und welche Gefahr von ihnen ausgeht, eine entscheidende Rolle. Dass aber auch Metawesen Menschen sind, wenngleich auch nur mit besonderen Fähigkeiten, wird hier geflissentlich außer Acht gelassen. Wie man sieht, eröffnet das DC Extended Universe hier eine Menge Spielräume für politsch wie gesellschaftlich sehr relevante Diskussionen und Auseinandersetzungen. Dass sie im Gewand der Unterhaltungsindustrie daherkommen, ist wohl dem Zeitgeist geschuldet. Diskutieren wir also über diese Filme, diskutieren wir auch über unsere Gesellschaft und damit sollten wir niemals aufhören, genauso wenig, wie wir niemals aufhören sollten, ins Kino zu gehen, denn Kino hat eine eindeutig politische Dimension.
Obwohl die Figuren prima sind, war der Film einfach unglaublich schrecklich.. Schade, könnte ein echtes Blockbuster sein.
AntwortenLöschenLG
Zuir