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Koblenz am Lake Okeechobee

Kommentar zum 5. Koblenzer Literaturpreis 2012 

Die Preisträgerin des fünften Koblenzer Literaturpreises steht fest! Eigentlich sollte das ein Grund zum Gratulieren sein, wenn eine relativ kleine, im Vergleich mit den großen Metropolen Deutschlands relativ unbedeutende Stadt wie Koblenz – nunmehr zum fünften Mal – einen Literaturpreis ausschreibt und auch vergibt. Und es ist kein unbedeutender Preis, immerhin ist er der Bestdotierte des Landes. 2012 hat er einen Wert von 13.000 Euro und wird gefördert vom Theater der Stadt Koblenz und der Universität Koblenz-Landau, sowie den jeweiligen Freundeskreisen. 

Hier einige Passagen aus den Ausschreibungen und von der Website des Literaturpreises: „1999 ins Leben gerufen, zeichnet der Koblenzer Literaturpreis alle drei Jahre die experimentelle Umsetzung von Themen aus dem Land an Rhein und Mosel und über die Landesgrenzen hinaus aus. Der Preis will zugleich Mut machen und finanziell fördern, neue literarische Wege zu gehen. Damit wird eine Plattform für junge Literaten geschaffen, die es ermöglicht, Kunst und Literatur in größerem Kreis zu präsentieren. Die Kriterien für die Preisvergabe sind bewusst offen gehalten, Bewerbungen sind weder an eine literarische Gattung noch an eine Altersgrenze gebunden.“ Ebenso sollte man sich noch folgende Angaben aus der aktuellen Ausschreibung ins Gedächtnis rufen: „Der Preis verfolgt die Förderung der Literatur am Mittelrhein in zwei Richtungen: 1. Förderung der Literaturschaffenden in der Region Mittelrhein: Förderung von Autorinnen und Autoren, die in der Region Mittelrhein leben, deren literarische Werke aber nicht diese Region thematisieren müssen, sowie 2. Förderung der Literatur im Kontext der Region Mittelrhein: Förderung von Autorinnen und Autoren, die außerhalb der Region leben, deren literarische Werke aber den Raum Mittelrhein - regional weit gefasst – thematisieren. Die Kriterien der Vergabe orientieren sich an diesem regionalen Bezug und an der Qualität der Texte. Es können sowohl einzelne publizierte Werke als auch das umfassende Schaffen einer Autorin oder eines Autors gewürdigt werden. Es sollten aber nicht mehr als drei Publikationen eingereicht werden, wobei alle literarischen Genres zugelassen sind. Bei nicht deutschsprachigen Arbeiten sollte eine Übersetzung beigelegt werden.“ 

Wie sind diese Aussagen nun zu werten oder zu interpretieren? Man kann es nach mehrmaligem Lesen so verstehen: Junge Literaten – wobei die Bezeichnung jung relativ dehnbar ist und sich augenscheinlich nicht nur auf das Alter der Bewerber, sondern wohl eher auf das Alter von deren Werken bezieht – sollen mit diesem Preis gefördert werden, wenn sie entweder durch ihren persönlichen Werdegang oder die jeweiligen Inhalte ihrer Werke einen direkten Bezug zur Region Mittelrhein haben – wobei auch hier der Terminus technicus „Mittelrhein“ nur mit „Land an Rhein und Mosel“ näher eingegrenzt wird. Darüber hinaus gab es keinerlei Vorgaben, was das Genre anging, es konnten also – ja es sollten sogar alle Textsorten eingereicht werden, die im literarischen Schreiben denkbar sind. 

Wie wird nun dieser Wettbewerb im Einzelnen abgewickelt? Zunächst wird eine Vorauswahl aus den Einsendungen getroffen, eine Vorauswahl, die dann der Jury vorgelegt werden wird. Für den Wettbewerb 2012 waren das immerhin einhunderteins Arbeiten. Auch das ist noch nichts Ungewöhnliches, sollte man meinen, wird doch oft eine Vorauswahl bei solchen Wettbewerben getroffen, nur stand davon leider nichts in der Ausschreibung. In diesem Fall wurde die Vorauswahl von einer Privatdozentin der Universität Koblenz vorgenommen. 

Auf eine diesbezügliche telefonische Anfrage im Frühjahr 2011 teilte die Sachbearbeiterin der Koblenz Touristik mit, dass jedes Werk von der Jury in Betracht gezogen würde – tatsächlich hatte jeder in der Jury wohl jederzeit die Möglichkeit, alle Wettbewerbsbeiträge einzusehen und zu überprüfen, aber mal ehrlich, wer macht das schon in einer solchen Situation? Die Jury sollte das erste Mal im November zusammenkommen und dann sei auch mit den ersten Ergebnissen zu rechnen. 

Und Anfang Dezember bekamen die „Aussortierten“ einen netten Brief mit einem standardisierten Text, in dem lapidar mitgeteilt wurde, dass man den entsprechenden Beitrag nicht würde weiterhin berücksichtigen können. Eine nähere Begründung wurde nicht geliefert mit der Begründung, dies sei nicht leistbar. Hatte also eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit den eingereichten Arbeiten überhaupt stattgefunden? 

Eine daraufhin eingeleitete Recherche, unter anderem eine Korrespondenz mit der betreffenden Sachbearbeiterin und einem Professor der Universität, der darüber hinaus noch Jurymitglied ist, brachte Ergebnisse, die ernüchternd und erschütternd zugleich waren: Zum einen war die Vorauswahl von der oben genannten Privatdozentin an eine kleine Gruppe „kompetenter“ Studierender höherer Semester delegiert worden, die jeweils die Werke „gelesen“ und „eingestuft“ hatten, sprich: eine Stellungnahme hierüber abgegeben hatten. – Hallo? – Geht’s noch? – Bei einem so großen und bedeutenden Preis, bei dem es neben dem Renommee auch noch um eine beträchtliche Summe Geldes geht, übernehmen Studenten (!) die Vorauswahl? Wie qualifiziert waren diese überragenden Studenten denn, dass sie es in Angriff nehmen durften, eine solche Bewertung vorzunehmen? Und welche Kriterien wurden der Vorauswahl zugrunde gelegt? – Warum übernahmen überhaupt Studenten die eigentliche Arbeit der Jury? – Darüber ist nichts bekannt. 

Doch es kam noch besser: Die Jury war sich durchaus bewusst, dass die Formulierung der Ausschreibung missverständlich, ungenau und schlichtweg ungenügend war, und darüber hinaus – wie so mancher juristische Gummiparagraph – gedehnt werden konnte. Man war sich bewusst, dass die Frage, wie man die Ausschreibungstexte genau zu verstehen und für die Praxis zu deuten habe, in Zukunft einer Überarbeitung bedurfte. Und dennoch stoppte keiner diese Farce? 

Betrachten wir uns nun noch das Ergebnis: Die diesjährige Preisträgerin ist eine promovierte Germanistin, Anglistin und Philosophin, die Prosa, Essays und Theatertexte schreibt, und sogar szenisches Schreiben in der Schweiz studiert hat. Sie hat bereits mehrere bedeutende Preise abgesahnt und auch entsprechende Stipendien erhalten. Also ein Vollprofi, wenn man so will, eine professionelle Autorin und Literatin, die in München geboren wurde und nun mit ihrer Familie in Berlin lebt. Die einzige Verbindung zur Region Mittelrhein ist ihre Kindheit und Schulzeit in Kirn im Hunsrück, was man wohl weitgehend noch zur Region zählen kann. Dass ihr Nachname auf merkwürdige Weise mit dem Namen eines Politikers korreliert, der in Kirn lebte – und dessen Sohn, der ebenso politisch aktiv ist, immer noch dort lebt – und den man als den „guten Menschen von Kirn“ bezeichnete, ist doch wohl hoffentlich auch nur eine auffällige Zufälligkeit, oder? 

Bei dem ausgezeichneten Werk handelt es sich um einen Roman, der bereits 2009 den Anna-Seghers-Preis erhalten hat und aus dem Jahr 2009 stammt. Dieser Roman befasst sich mit einer Person, deren Schicksal sich in Schottland im 18. Jahrhundert konstituiert. – Nichts gegen diesen Roman, aber wo ist da der Bezug zu den in der Ausschreibung geforderten Bereichen? – Er ist schlichtweg nicht ersichtlich, wenn er überhaupt vorhanden ist. – Trotz alledem natürlich herzlichen Glückwunsch, Frau Dr. phil. Daniela Dröscher! Immerhin soll Ihnen der Preis gerne gegönnt sein, wenngleich Sie nichts eingereicht haben, was den Kriterien der Ausschreibung entsprach. Oder reichte etwa Ihr Management Ihren Beitrag ein, und Sie wussten nichts davon, frei nach dem Motto: Wir nehmen mal an allen Wettbewerben teil, bei einem wird schon was herausspringen? Dann ein Kompliment an Ihr Management. 

Aber werfen wir noch einmal einen Blick auf die anderen bisherigen Preisträger und die ausgezeichneten Werke. In allen Fällen wurde – mit einer Ausnahme, in der es um ein Lebenswerk ging – jeweils ein Roman ausgezeichnet. Es wurde nie eine andere Textgattung in Erwägung gezogen, obwohl doch die Ausschreibung ausdrücklich vermerkt, dass keine literarische Gattung bevorzugt behandelt wird. Ist nun der Roman die Königsdisziplin unter den Textgattungen, dass er in allen bisherigen Fällen im Mittelpunkt steht? – Hat er die einzige Daseinsberechtigung, was Wettbewerbe dieser Art betrifft? – Sollte man nicht annehmen, dass ein Theater beispielsweise auch an entsprechend szenisch-dialogischen Texten interessiert ist? – Oder haben hier schlicht und ergreifend die Blinden wieder mal nicht geradeaus sehen können? 

Diesen Sachverhalt kommentierte ein promovierter Literaturwissenschaftler und Verleger, also ein Insider, der seit etlichen Jahren das Geschäft und das System kennt, folgendermaßen: „Solche Wettbewerbe sind prinzipiell nicht dazu da, Gutes, Neues oder Interessantes zu finden. Es geht dabei auch nicht um Gerechtigkeit, Neutralität oder sachliche Unvoreingenommenheit.“ Bei einem Literaturwettbewerb geht es also infolgedessen nie um die Qualität der eingereichten Arbeiten, sondern immer nur um Beziehungen. 

Zum Schluss bleibt vor allem eigentlich nur eine einzige Frage zu stellen: Hat man es denn als Kultur schaffender Autor so dringend nötig, diese Wettbewerbe zu gewinnen und entsprechende Preise einzuheimsen? Sicher, es liest sich gut in der Bio, wenn man schreiben kann, dass man den und den Preis und die und die Auszeichnung erhalten hat. Aber gehört man nicht zu der entsprechenden Lobby, die sich gegenseitig deckt und entsprechende Personen zuschustert, hat jedwede Diskussion mit der Jury oder den Beteiligten sowieso von vornherein keinen Sinn. Man braucht diese Lobby zwar nicht zwingend, um Erfolg zu haben, in Deutschland kann sie aber auch nicht schaden. Man schont daher dann besser Nerven und Motivation. Welchen Wert hat ein solcher Preis dann überhaupt noch, angesichts einer derartigen Vetternwirtschaft? – Hat ein Goethe beispielsweise jemals einen Literaturpreis gewonnen? 

Denken Sie einmal darüber nach. 

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