Landauliegt tief im südwestlichen Rheinland-Pfalz, und ist ein idyllisches kleines Städtchen, welches die eine Hälfte der Universität Koblenz-Landau beherbergt. Die andere Hälfte liegt weiter nördlich, eben, wie es der Name schon sagt, in Koblenz am Rhein, der Stadt, wo Rhein und Mosel am Deutschen Eck unter den Augen des gestrengen Kaisers Wilhelm I. Hochzeit halten. Und obwohl die beiden Universitäten eigentlich eine Gemeinschaft bilden, gibt es doch hin und wieder Dinge, die dann nur jeweils einer Hälfte vorbehalten bleiben; so auch hier. Der Schauplatz war die beeindruckende Jugendstil-Festhalle in Landau.
Das Zentrum für Kultur und Wissendialog, kurz ZKW, in Landau hatte die diesjährige Poetik-Dozentur an den österreichisch-deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann verliehen, der wohl mit Fug und Recht als der derzeit bedeutendste deutschsprachige Gegenwartsschriftsteller bezeichnet werden darf. Sein Roman „Die Vermessung der Welt“ (2005), in dem er den biographischen Spuren des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769-1859) folgt, verhalf Kehlmann nach „Mahlers Zeit“ (Roman, 1999), „Der fernste Ort“ (Novelle, 2001) und „Ich und Kaminski“ (Roman, 2003) zu Weltruhm. Sein früher Roman „Beerholms Vorstellung“ (1997) fand dagegen wenig Beachtung. Danach folgten das Romanexperiment „Ruhm“ (2009) und einige essayistische und eher poetologische Werke wie „Wo ist Carlos Montúfar?“ (Essays, 2005) und „Lob: Über Literatur“ (2010). Neuerlich macht er auch als Theater- und Bühnenautor von sich reden. Zwei Theaterstücke hat er derzeit in seiner Werkliste, nämlich „Geister in Princeton“ (2011) und „Der Mentor“ (2011/12). Er lebt und arbeitet abwechselnd in Wien, Berlin und New York, wozu, darf man den Worten eines gewissen Herrn Staatssekretärs Glauben schenken, Landau in der Pfalz in etwa die geographische Mitte bildet.
PD Dr. Anja Ohmer, Akad. Oberrätin, Leiterin des ZKW der Universität Koblenz-Landau |
Das Thema, das sich der vielfach preisgekrönte und ausgezeichnete Autor für die dreitägige Poetik-Dozentur gewählt hatte – es ist im Übrigen nicht die erste Dozentur dieser Art, die er bekleidet, Landau ist nach den Universitäten Mainz (2001), Göttingen (2006/07), Köln und Tübingen (2010), der Fachhochschule Wiesbaden (2005/06) und der New York University (2012) die insgesamte siebte Dozentur dieser Art – lautete: „Die Kunst der Adaption: Wie aus Büchern Filme werden“. Er bewegte und bewegt sich wohl gegenwärtig generell an dieser schwierigen Grenze einer interdisziplinären Forschung, an der Gradwanderung zwischen Literatur und Film, zwischen Kino im Kopf und fiktiver Realität, zwischen Bildern der Phantasie und Bildern, die ein Filmemacher seinem Publikum vorgibt und hofft, dass sie – die Bilder – allgemeinen Anklang finden.
Nun gehört Kehlmann zu dem seltenen, ja fast eigentlich kaum vorhandenen Typus Autor, der seine eigenen Werke selbst für den Film adaptiert und die Drehbücher schreibt. So wurde „Die Vermessung der Welt“ (2012, Regie: Detlev Buck (*1962)) nach seinem eigenen Drehbuch umgesetzt, das er zusammen mit Buck und Daniel Nocke (*1968) verfasste, „Ruhm“(2012, Regie: Isabel Kleefeld (*1966)) lag komplett in den Händen der Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, und beim gegenwärtig im Entstehen begriffenen Film „Ich und Kaminski“ hat er, wie er sagt, fast alles aus seinen Händen gegeben und dem Regisseur Thomas Wendrich (*1971) anvertraut, den Kehlmann direkt mitgebracht hatte und der als eingefleischter Filmmann einen interessanten Kontrast zum literarischen intellektuellen Schriftsteller bildete.
Der Regisseur Thomas Wendrich |
Und dieser Kontrast, der sich vornehmlich im zweiten Teil des Abends, einer Art angedeuteter Podiumsdiskussion mit Verfremdungseffekt in Gestalt einer viel zu brav und mit einer fast schon bieder zu nennenden Fragetechnik agierenden Anja Ohmer, zeigte, hatte etwas wahrlich Kafkaeskes.
Da war, nach den obligatorischen Grußworten seitens der Universität und der Politik und einer Einführung in den Autor und sein Werk durch die Leiterin des ZKW Privatdozentin und Akademische Oberrätin Dr. Anja Ohmer, zunächst im ersten Teil dieser lässige, fast schon schlaksig auftretende junge Autor, der in légèrer Kleidung – einfaches dunkles Hemd und Hose, womit er im krassen Gegensatz zur doch recht festlichen Kleiderordnung vieler Anwesenden stand – ans Podium trat, wobei er den Eindruck eines unbedarften Lausbuben vermittelte, dem der Schalk herausfordernd im Nacken saß und dessen Körperhaltung auszudrücken schien „Ihr könnt mir ja gar nichts!“; der dann aber eine scharfsinnige, in seinen Thesen gewagte und in seiner Beweisführung bestechend pointierte Rede ausführte, die unmissverständlich auch noch den letzten Skeptiker davon überzeugen musste, dass er es hier mit einem durch und durch intellektuellen, schöngeistigen und vor allem durchgeistigten Literaten zu tun hatte, der sich nicht scheute, die weiter oben bereits angesprochene Gradwanderung noch zu einem Hochseilakt zu verschärfen.
Er sprach über seine Vorbilder, allen voran seinen Vater Michael Kehlmann (1927-2005), wie er geprägt worden war durch dessen Arbeitsweise, das Diktieren von Drehbüchern auf Band, das ständige Korrigieren und Redigieren, währenddessen er als Kind sehr oft dabeigesessen hatte. Er verdeutlichte den Zusammenhang zwischen Buch und Film am Beispiel der Coen-Brüderund ihres filmischen Meisterwerks „No Country for Old Men“ (2007), hier insbesondere an der Schlussszene. Die Verwandtschaft zwischen der Gattung des Romans und des Films ist seiner Meinung nach enger als die zwischen einem Theaterstück und einem Film, da beide, Film wie Roman, vor allem mit Bildern arbeiten, die erzeugt werden. Eine seiner gewagtesten Thesen lautete dahingehend, dass der Film dem Roman gegenüber sogar einen Vorteil habe, der vor allem in der Gestik und Mimik eines Schauspielers, aber auch vor allem in dem liegt, was man nicht zeigt bzw. zeigen muss. Die Menschenheit war immer in der Lage, noch bevor sie Buchstaben und Texte lesen und verstehen konnte, die Körpersprache, die Gestik und die Mimik sowie den Blick zu deuten, so in etwa lautete sinngemäß Kehlmanns These. Doch das war nur einer von vielen Aspekten dieses ungemein spannenden, in vielen Bereichen extrem provokanten und gerade dadurch sehr kurzweiligen und mitreißenden Vortrags.
Dann wurde Thomas Wendrich, der Regisseur, zu Kehlmann auf die Bühne gebeten – er passte optisch gut zu Kehlmann, denn auch er hatte sich für den légèren Look mit Turnschuhen entschieden – man setzte sich mit Ohmer zu dritt an den Tisch und es sollte sich wohl ein Gespräch über die Praxis hinter der Theorie entwickeln, so war es die erklärte Absicht, scheinbar. Was sich aber tatsächlich anbahnte, war ein launiges Frage-Antwort-Spielchen, dem viele Zuhörer ab einem gewissen nicht näher bestimmbaren Punkt nicht mehr so recht folgen konnten oder wollten, wie ein schneller Blick in die Gesichter vieler anwesender Studentinnen und Studenten zeigte, und deren Körpersprache – das unvermeidliche Abstützen des Kopfes oder das Betten desselben auf Hände und Arme – ein tapferes Durchhalten erahnen ließ.
Nichtsdestotrotz waren vor allem die Ausführungen Wendrichs aufschlussreich und erhellend und wenngleich auch nicht viel aus ihm herauszukitzeln war, was die neue Verfilmung „Ich und Kaminski“betraf, und wenn auch Kehlmann sich nicht wirklich eindeutig zu der Frage äußern wollte, ob er wieder eine Gastrolle – wie bereits in der „Vermessung der Welt“ – spielen werde – er konnotierte das mit dem lapidaren Verweis darauf, dass er ja nicht Hitchcock sei – so darf man doch gespannt darauf sein, wenn der Film in 2014 in die Kinos kommen wird.
Kehlmann kündigte dann nebenbei auch noch einen neuen Roman mit dem verheißungsvollen Titel „F“für den Herbst an, ein großer 380-Seiten-Wälzer sei das, aber mehr gab es auch hier nicht. Einige Anekdoten vom Filmset, die man immer besuchen sollte, weil es einfach so interessant sei, wie Kehlmann betonte, und immer wieder diese eigenartigen Blicke oder eben auch Nicht-Blicke zwischen den beiden jungen Künstlern, die eben in ihrer Gesamtheit in Tateinheit mit der ebenfalls weiter oben bereits erwähnten zurückhaltenden Fragetechnik eine Atmosphäre und Stimmung erzeugten, die ich gar nicht anders als kafkaeskbezeichnen mochte.
Den Abschluss des Abends bildete dann noch eine äußerst unterhaltsame Lesung aus dem ersten Akt seines aktuellen Theaterstücks „Der Mentor“. Kehlmann las – nachdem er süffissant darauf hingewiesen hatte, dass im bewusst sei, dass die Länge des Abends schon an die Grenzen des Erträglichen gehe – selbst. Und es gelang ihm tatsächlich, die einzelnen Figuren so auf die geistige Kinoleinwand seines Publikums zu zaubern, dass er mit vielen Heiterkeitsausbrüchen belohnt wurde. Und so fand diese erste der drei Poetik-Dozentur-Veranstaltungen auch ihr Ende. Es schloss sich noch eine Signierstunde an und im Foyer ergab sich im Ausklang des Abends noch die Möglichkeit für viele interessante Gespräche und Gedankenaustausch.
Mein Fazit: Ich war froh, dass ich die Reise gemacht hatte. Es war ein tolles Erlebnis, eine geistige Bereicherung und Daniel Kehlmanns schillernde und ungemein faszinierende Persönlichkeit live zu erleben, war das alles und noch viel mehr wert. Leider – ja, ich muss es wirklich zugeben – leider konnte ich nicht an den beiden folgenden Tagen dabei sei, aber ich hoffe, dass die Arbeit des ZKW in Landau noch viele solcher kulturell so wertvollen und doch so seltenen Momente hervorbringt und vielleicht darf man ja dann auch einmal darauf hoffen, dass eine solche Veranstaltung nicht nur an einem Standort der Universität Koblenz-Landau, sondern dann gegebenenfalls auch an beiden Standorten stattfinden kann und wird.
(Anm.: Dieser Artikel bildet ein kleines Jubiläum! Es handelt sich um den 50. Post auf diesem Blog! Und das Thema Daniel Kehlmann ist diesem Anlass durchaus angemessen, finde ich. ;-))
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