Kongressnachlese Tag 1: Von der Veränderung literarischer Territorien, dem ›Clash Of Cultures‹ und einem magischen Mayversum
»An der Saale hellem Strande/stehen Burgen stolz und kühn./Ihre Dächer sind zerfallen,/und der Wind streicht durch die Hallen,/Wolken ziehen d´rüber hin.« Warum es gerade dieses alte, aus dem Jahr 1826 stammende deutsche Volkslied war, welches ich während meiner Fahrt zum diesjährigen Kongressort immer wieder auf den Lippen hatte, kann ich nicht wirklich sagen. Vielleicht rührte es daher, dass es das einzige Lied war, das mir aus Kindertagen noch in Verbindung mit jener Gegend geblieben war, in die es mich nun verschlug: Naumburg an der Saale (=> Homepage), genauer der größte Ortsteil Bad Kösen.
Malerisch gelegen, gestaltete sich schon die Anfahrt, nachdem ich die A4 bei Apolda verlassen hatte, durch eine eher flache Mittelgebirgslandschaft als schwierig, denn die Hauptstrecke war gesperrt, sodass ich mich durchfragen musste. Hier hätte mir die berühmte Fähigkeit des Spurenlesens, in denen der verehrte Autor selbstredend so geübt gewesen sein wollte, wohl sehr geholfen. Dennoch kam ich schließlich auch so an.
Es ging über kopfsteingepflasterte Straßen in ein Örtchen, dass, trotz zahlreicher Modernisierungen seine DDR-Vergangenheit kaum zu leugnen imstande war. Als ich das Appartment bezogen hatte, das in einer ruhigen Seitengasse unweit der Tagungsstätte lag, machte ich mich auf, um noch ein wenig einzukaufen, nachdem ich im Kongressbüro meine Tagungsunterlagen abgeholt hatte.
Unterwegs traf man schon die ersten Bekannten, und da hier alles in trauter Nähe liegt, waren die Besorgungen rasch erledigt. Der Kongress sollte um 19 Uhr beginnen. Als Austragungsort war das Ringhotel »Mutiger Ritter« gewählt worden, dem Benehmen und den Preisen nach wohl eines der erlesensten Etablissements in Bad Kösen. Im Festsaal selbst fanden sich eine Menge bekannter Gesichter, sowohl was die Gesellschaftsprominenz betraf, als auch was die Aussteller rund um das Thema »Karl May«, insbesondere die Bücherhändler, anging. Allerdings fehlten auch viele bekannte Gesichter, die es aus den unterschiedlichsten Gründen in diesem Jahr nicht zum Kongress geschafft hatten.
Bernward Küper (*1963), der Oberbürgermeister der Stadt Naumburg (Saale) ließ es sich nicht nehmen, trotz »seiner auf ihren Koffern sitzenden Familie«, die Kongressteilnehmer persönlich mit ein paar Ausführungen zu begrüßen. Herr Küper würde noch an diesem Abend in den wohlverdienten Urlaub fahren, was man ihm bitte nicht als Missachtung der Veranstaltung auslegen möge.
Seine Genese, wie es schlussendlich zwanzig Jahre nach den ersten Bemühungen vor allem auf Betreiben seines Vorgängers im Amt Curt Becker und des KMG-Mitglieds Rainer Gusky dann doch gelungen war, den Kongress nach Naumburg zu holen, gipfelte in der Erwähnung der Erzählungen rund um den alten Dessauer und des hochgelobten Naumburger Biers »Zitzemille«, das May bereits 1882 in der Zeitschrift »Deutsche Gewerbeschau« lobend erwähnt hatte.
»Zwar die Ritter sind verschwunden,/Nimmer klingen Speer und Schild;/Doch dem Wandersmann erscheinen/In den altbemoosten Steinen/Oft Gestalten zart und mild.« Eine solche Gestalt, nämlich der 74-jährige Countrybarde Ted Thieme betrat anschließend die Bühne, um mit der Gitarre unterstützt durch eine Playbackeinspielung mit einer »Weltpremiere« aufzuwarten, einem Song für Karl May, den er extra für den Anlass des Kongresses geschrieben hatte. Er bemühte sich auch redlich, gegen die Tücken der Technik anzuspielen und sein Publikum zu animieren. Doch ein richtiges Mitsingen, wie er es sich sicherlich erhofft hatte, war zu diesem Zeitpunkt den Kongressteilnehmern nicht zu entlocken, wohl aber ein erstauntes Gemurmel, das wohl auch dem außerordentlichen Niveau des musikalischen Beitrags geschuldet war..
»Droben winken schöne Augen,/Freundlich lacht manch roter Mund,/Wand’rer schaut wohl in die Ferne,/Schaut in holder Augen Sterne,/Herz ist heiter und gesund« Mit ungewöhnlichem Ernst begrüßte dann der erste Vorsitzende, Dr. Johannes Zeilinger (*1948) die Runde, nicht, ohne noch einmal gebührend die Eignung und die Vorzüge des gegenwärtigen Austragungsortes zu würdigen, die »besondere Gastfreundschaft« des Naumburger Oberbürgermeisters zu loben und das diesbezügliche besondere Engagement von Rainer Gusky zu unterstreichen.
Karl May sei zum Objekt ernsthafter wissenschaftlicher Forschung geworden, seine Zeit als Massenphänomen vorbei, die literarischen Territorien respektive der Einführung junger Menschen in die Welt der Phantasie hätten sich zugunsten moderner Phantastik-, Fantasy- und Science-Fiction-Mythen verändert, so der Befund Zeilingers. Viele Aspekte seiner Biographie seien aber ebenso wie sein Werk von bleibender Aktualität.
Der Orientzyklus Mays sei zum Beispiel, aufgrund der aktuellen politischen Situation, jedem, der sich mit dem ›Clash Of Cultures‹ befasst, zur Pflichtlektüre anzuraten, denn Karl-May-Leser hätten schon immer mehr vom Orient gewusst. Als prominente Zeugen der von May beschworenen Aussöhnung des Morgenlandes mit dem Abendland benannte er den deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (*1942) und den syrischstämmigen Schriftsteller Rafik Schami (*1946).
»Und der Wand´rer zieht von dannen/Denn die Trennungsstunde ruft/Und er singet Abschiedslieder/Lebewohl tönt ihm hernieder/Tücher wehen in der Luft.« Den Abschluss des Abends, durch den, wie auch durch die ganze weitere Veranstaltung Dr. Florian Schleburg (*1972) moderierend führte, bildete der erste wissenschaftliche Vortrag der Tagung unter dem Titel »Karl May reloaded. Kara Ben Nemsi in einem magischen Universum«. Der Referent, Thomas Le Blanc (*1951), stellte in kurzweiliger, humorvoller Art und Weise sein aktuell in Zusammenarbeit mit einem Autorenteam und dem Karl-May-Verlag sich in der Umsetzung befindliches Projekt »Karl Mays magischer Orient« vor. Derzeit sind vier Romane und ein Sammelband mit kürzeren Erzählungen erschienen, zu dem sogar renommierte deutsche Autoren wie die Schriftstellerin Dr. Tanja Kinkel (*1969) einen Beitrag beisteuerten.
In seinem Werkstattbericht führte Le Blanc, der Gründer und Geschäftsführer der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar, aus, wie es zu der Idee kam. Angeregt vom Bestreben, den heutigen Leser für Karl May zu interessieren, sei man zu der Überzeugung gelangt, dass man »neue Karl-May-Romane« schreiben müsse, die die Bedürfnisse moderner Leser nach Fantasyelementen befriedige, denn, so Le Blanc, wer so etwas gerne läse, der würde vielleicht in der Folge dann auch zu den Originalromanen Karl Mays greifen, um diese dann auch wieder zu entdecken. In anderen Universen, beispielsweise bei Sherlock Holmes, funktioniere das mit den Pastiches und Neuschöpfungen ja auch sehr gut.
Den »Kanon«, also die Originalgeschichten Karl Mays, wolle man allerdings achten und nicht antasten, sondern nur erweitern. Eine Anmerkung sei mir hier erlaubt: Der Begriff »Kanon« in solch einem Zusammenhang ist mir bisher nur bei Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) begegnet, was im Übrigen nicht die einzige Übereinstimmung mit dem literarischen Universum des berühmten englischen Autors ist. Denn es gibt eine frappierende Übereinstimmung in den Schildungen des Todes vom Schut, der den Sprung über die Verräterspalte nicht schafft, und von Professor Moriarty, der in die Reichenbachfälle stürzt. Beide Tode sind so abgefasst, dass eine Rückkehr der Figuren möglich ist, was Conan Doyle ja auch aufgrund des Zwangs seiner Leserschaft und des The Strand Magazines tut.
In der Konzeptionierung und der Umsetzung dieses neuen magischen Mayversums – man wählte den Orient als Schauplatz, weil der Wilde Westen sich für eine phantastische Umsetzung einfach nicht eigne, wie viele dementsprechend misslungene Beispiele zeigten1 – orientierte man sich an den Machern von modernen Serie wie Perry Rhodan oder Star Trek. Ein Autorenteam entwarf erst einmal Exposés, also kurze Entwürfe der geplanten Romane, die dann inhaltlich so aufeinander abgestimmt wurden, dass es keine Widersprüche sowohl in den neuen Texten wie auch im Verhältnis zum Kanon gab. Dann wurden die Romane verfasst.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die Rechnung aufgeht. Thomas Le Blanc hat ja bereits auf dem letzten Kongress – man vergleiche meine diesbezügliche Berichterstattung auf diesem Blog – seine entsprechenden Thesen dargelegt und erklärt, warum sich eine solche Vorgehensweise für Karl Mays Figuren und Welten besonders eigne. Ebenso hat er bereits damals eine selbstgeschriebene Erzählung mitgebracht, in der er dem Publikum einen Eindruck von den Möglichkeiten eines magischen Mayversums vermitteln wollte. Dies scheint er zu einer kleinen Tradition werden lassen zu wollen, denn auch dieses Mal gab es einen kurzen Text, der in gedruckter Form auf den Stühlen im Festsaal auslag und der als Bettlektüre im Anschluss an das gemütliche Beisammensein der Gesellschaftsmitglieder empfohlen wurde, womit dieser erste Tag dann auch sein Ende fand. »Was lange währt, wird endlich gut!« Es bleibt zu wünschen, dass dieses große Engagement für Karl May auch den erhofften Erfolg bringen wird.
1 Man denke nur an Filme wie »Cowboys und Aliens« (2011 mit Daniel Craig und Harrison Ford.)
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