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Humor in der Midlife-Crisis: Michael Bully Herbigs »Das Kanu des Manitu«

Quelle
»Der Film soll einfach witzig sein und keine Rücksicht auf etwaige ›woke‹ Bedenken legen. (…) Wir nehmen die Debatte wahr, aber wir kapitulieren nicht vor ihr. (…) »Beim Humor wollten wir auf nichts Rücksicht nehmen.«

(Michael Bully Herbig im SPIEGEL-Interview)
Ich war mal wieder im Kino – nach langer, langer Zeit. Mein Gott, wie hat sich mein altes Lichtspielhaus verändert, in dem ich früher so viele Filme gesehen und besprochen habe! Es fing schon damit an, dass ich den Eingang suchen musste, denn der befand sich nicht mehr an seinem angestammten Platz. Nach dem Brand Ende Februar 2024 – so genau weiß ich das gar nicht mehr, ich habe es nur am Rande mitbekommen – mussten die Betreiber das Kino von Grund auf neu denken, baulich wie konzeptionell. Das hat sich deutlich ausgewirkt: auf die Art, wie man Karten kauft, wie man sich mit Fressalien eindeckt – und nicht zuletzt darauf, was man am Ende dafür bezahlt. So ein Kinobesuch ist mittlerweile ein kleines Luxusgut, das sich der Durchschnittsverdiener vielleicht alle paar Monate gönnt. Doch das nur am Rande. 

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, angesichts des Niveauverfalls und der allgegenwärtigen Ideologisierung, die leider auch das Kino nicht verschont hat, keine Filmkritiken mehr zu schreiben. Vor allem der »Wokeness« (vgl. Bockwyt, 2024 & Voss, 2025) und dem »Gendern« – jener sinnfreien Verballhornung der deutschen Sprache, der sich jeder, der irgendwie mit Sprache arbeitet – sei es künstlerisch oder produktiv –, entgegenstellen sollte –, begegnet man mittlerweile überall. Und doch: Michael Bully Herbigs Fortsetzung von »Der Schuh des Manitu« (2001) wollte ich unbedingt auf der großen Leinwand sehen. Und, um es gleich vorwegzunehmen: »Das Kanu des Manitu« hat mich mit recht gemischten Gefühlen zurückgelassen. 

Midlife-Crisis

Man sagt, die Midlife-Crisis sei eine ganz normale Lebensphase – keine Krankheit –, die Menschen zwischen dem vierzigsten und sechzigsten Lebensjahr ereilen kann, aber nicht muss. Der Betroffene wird sich zum ersten Mal merklich seiner Sterblichkeit bewusst, hadert mit unerfüllten Erwartungen und hat das Gefühl, persönlich wie beruflich auf der Stelle zu treten. Irgendwie scheint es nicht wirklich weiterzugehen. Dies führt zu Selbstzweifeln, Unsicherheit und dem ständigen Hinterfragen all dessen, was man bisher in seinem Leben erreicht und geleistet hat oder was man noch anstrebt. Nicht selten geht diese Phase mit auffälligen Verhaltensänderungen einher. 

Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Altersbedingte, körperliche und hormonelle Veränderungen gehen einher mit dem Gefühl, nicht das erreicht zu haben, was man sich vorgenommen hat, und einer zunehmenden Wahrnehmung von Stagnation des eigenen Lebensweges, das Gefühl, nicht dort angekommen zu sein, wo man sich einst sah. Kurz: Merkmale einer solchen Midlife-Crisis sind also Selbstzweifel und Unsicherheit, das Hinterfragen von Lebenszielen, körperliche Veränderungen – und nicht selten eine sichtbare Veränderung im Auftreten oder Lebensstil. 

Und all das ist »Das Kanu des Manitu«. Mit einem gehörigen Schuss Sentimentalität und Pseudo-Nostalgie – in erster Linie für langjährige Fans. Junge Zuschauer dürften mit dem Film und all seiner Intertextualität kaum noch etwas anfangen können. Leider. Denn dazu gehört Bildung – und natürlich die Kenntnis der Grundlagen für das Sammelsurium an Anspielungen, sowohl aus dem Werk Karl Mays (1842-1912) als auch aus anderen populären Ikonografien der 1980er, 1990er und 2000er-Jahre. 

Man könnte diese Merkmale und Ursachen einer Midlife-Crisis an diesem Film geradezu exemplarisch durchexerzieren. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, sondern nur ein paar auffällige Punkte herausgreifen – vermutlich wird einem beim zweiten oder dritten Ansehen noch mehr auffallen. 

Selbstzweifel & Unsicherheit

Abahachi (Michael Bully Herbig, zudem in den Rollen von Winnetouch und Grauer Star zu sehen) und Ranger (Christian Tramitz) sind sichtbar gealtert – und sie wissen es auch. Kein Wunder, angesichts des tatsächlichen Alters der Hauptdarsteller (sic!). Sie zweifeln permanent: An sich selbst, an ihrer Freundschaft, am Sinn des Lebens – oder sollte man besser sagen: ihres Daseins? Zwischendurch fragen sie sich immer wieder, was geschehen würde, wenn einer von ihnen stürbe und den anderen allein ließe. Das kulminiert in dem mantraartig wiederholten Satz: »Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden!« – ein Running Gag, der schon im Schuh für Wiedererkennung sorgte. Am Ende steht die kaum überraschende Erkenntnis: »Wir sind alt.« 

Dieses Heldenpaar – man muss es so klar sagen – wirkt zu keinem Zeitpunkt souverän, sondern ist zur Karikatur einer Karikatur eines Antihelden verkommen, eingehüllt in das viel zu schwere Gewand des »edlen Wilden«-Typus und des idealisierten Westmanns. Und doch: Für einen flüchtigen, fast ehrfürchtigen Moment gelingt es tatsächlich, Pierre Brice (1929–2015) in seiner ikonischen Rolle als Winnetou digital in den Film einzuschneiden – ein erhabener Augenblick in einem ansonsten wenig erhabenen Werk. 

Reminiszenzen für Enthusiasten

Dazwischen wird der sehr vorhersehbare, sehr dosierte klamaukeske Slapstick und der programmatische in die Jahre gekommene Wortverdreherwitz immer wieder rüde unterbrochen von Momenten, in denen echte Tiefe entstehen könnte – wenn man sie denn zuließe. Karl-May-Enthusiasten werden die Reminiszenzen an »Winnetou. Dritter Band« (1893), besonders in den Motiven von Todesahnung und Vermächtnis, sofort erkennen. Doch bevor sich echte Doppelbödigkeit oder Mehrschichtigkeit entwickeln kann, wird der Faden wieder fallengelassen. Wenn zum Beispiel der mittlerweile zum »Baron Oil« mutierte ehemalige Santa Maria (Sky du Mont) sich gemütlich die Zeit vertreibt, indem er den Band 37 der Gesammelten Werke Karl Mays »Der Ölprinz« (1893) in der bearbeiteten Fassung des Karl-May-Verlags liest, wirkt das unfreiwillig ernst – ein Anachronismus, der im besten Brecht’schen Sinne als Verfremdungseffekt funktioniert. 

Rick Kavanian spielt – erwartbar – den pausenlos wortverdrehenden griechischen Gastronomen Dimitri, der sich in die Tochter (sic!) Rangers verliebt, und gleichzeitig einen völlig verblödeten Deputy. Beide Figuren reaktivieren vertraute Charaktermuster. Das verleiht dem Plot, der unverkennbar Indiana Jones-Vibes aufweist, zwar einen Anflug von Frische – doch leider wirkt diese Frische aufgrund der ewig gleichen Darstellung - man denkt unwillkürlich beim Deputy an den ewig sächselnden Jens Maul aus »(T)Raumschiff Surprise – Periode 1« (2004) - wie die von aufgetauten Lebensmitteln nach langer Lagerung in der Tiefkühltruhe. 

Lebenslüge & Stagnation

Der vielversprechendste Plottwist scheint mir die mühsam aufoktroyierte Hintergrundgeschichte von Abahachi und seinem Bruder Winnetouch zu sein. Sie sind nämlich Adoptivkinder und gar keine echten Apatschen. Dies kulminiert in einem Geständnis vor dem Stamm der Apatschen am Ende der Handlung. Wiederum eine Idee mit Potenzial zur Tiefe – doch auch sie wird lediglich als moralisches Lehrstück für die Unterscheidung zwischen »echt« und »wahrhaftig« verwendet. Ob die Darsteller dieser Schlusssequenz vor beeindruckender Kulisse indigener Abstammung sind, bleibt unklar; die gesprochene Sprache wirkt unsicher. Es wäre eine schöne Sache, die den Film in seiner Bedeutung aufwerten würde. Da die Sprachen der Apachen nicht mehr aktiv verwendet werden, bleibt offen, ob man – wie oft – auf Lakota ausweicht oder, wie im Schuh, eine Kunstsprache kreiert hat. Das kann und möchte ich nicht beurteilen. 

Anachronismen & deus ex machina

Apropos Winnetouch: Aus dem einstigen Beautysalon auf der Puder-Rosa-Ranch ist eine Rumba-Tanz- und Fechtschule geworden, bei dem sogar Dumas’ »drei Musketiere« - waren es nicht eigentlich vier? - Fechtunterricht nehmen. Achtung: Anachronismus! Und da die drei Franzosen sind, muss ja der nun wirklich ausgelatschteste Louis-de-Funès-Gag gebracht werden: »Nein? Doch! Oh!«. Winnetouch, noch im Schuh die typische Persiflage auf einen schwulen Mann, ist nun nicht mehr klischeeschreiend schwul, sondern gemäßigt homosexuell. Er regelt quasi hintenrum alles für seinen ständig im Versagen begriffenen heterosexuellen Zwillingsbruder und dessen Blutsbruder. Schließlich bildet er noch den lächerlichsten Deus ex machina, den die Filmgeschichte je gesehen hat, den »rosaroten Zorro« – Achtung: Nächster Anachronismus! - der mit erstaunlichen Fechtkünsten alle Feinde besiegt und in die Flucht schlägt. Zweifelhafte Moral: Der Homo rettet die Heteros! Ein vermutlich dem Zeitgeist – auf den Bully ja laut SPIEGEL-Interview keine Rücksicht nimmt – geschuldete moralinsaure Botschaft. 

Fazit

Der Film trägt die morbide Ästhetik von Winnetous Tod wie ein zu großes Kostüm – ohne Pathos, dafür mit dem gedeckelten Humor einer Midlife-Crisis. Aus seinen Cowboystiefeln wächst er leider nicht heraus. Alles bleibt Stückwerk. Die absurde Angst vor dem »Wilden Wokistan« wabert stets im Hintergrund: »Sag nicht Indianer, sag bitte nicht Indianer.« Man spürt: Es ist mehr gewollt – aber man traut sich nicht, vermutlich aus Sorge, politisch unkorrekt zu erscheinen und kommerziell zu scheitern. 

Der gefährliche Tiger, das bissige Krokodil aus »Der Schuh des Manitu«, hat seine Zähne verloren. Der Biss ins intellektuelle und emotionale Fleisch des Rezipienten bleibt aus. Stattdessen leckt er dem Publikum zahm und vorsichtig die Hände, als wolle er sagen: »Hab mich doch lieb! Graul mich! Streichle mich! Ich bin doch ganz harmlos!« Verständlich – schließlich muss man heutzutage dem Zeitgeist huldigen, will man als Kulturschaffender überleben. 

Was bleibt, ist eine im Kern sympathische, aber vollkommen harmlose Bewältigung der Midlife-Crisis der Filmschaffenden, die den ikonischen Rollen als Sinnkrise merklich aufgebürdet wird. Die implizite Botschaft lautet: Mit der richtigen Unterstützung, Selbstreflexion und dem Entdecken neuer Interessen können die erheblichen Belastungen einer Midlife-Crisis als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung genutzt werden. Gespräche mit Partnern, Freunden oder Familie können helfen, die Krise zu bewältigen. Zeit für Selbstreflexion und die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen ist wichtig. Das Entdecken neuer Aktivitäten und Interessen kann helfen, neue Perspektiven zu gewinnen.
 

Herrlich, nicht wahr? Eine völlig harmlose therapeutische Maßnahme, als sanfte Therapieform für eine psychische Störung, die keine ist, getarnt als Komödie mit Slapstick-Einlagen und Klamauk. 

Moment mal – sind wir nicht ein bisschen vom Weg abgekommen? Die Sinnsuche dieser Therapiekomödie wirkt so retardierend wie der zweite Akt eines Dramas ohne Höhepunkt – und ist so ziellos wie ein Kanu auf trockenem Land. Ob diesem Kanu des Manitu das »ewige Leben« vergönnt sein wird? – Wir werden es sehen.

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