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Prohibitionistischer Alptraum im Schlafrock – David Yates’ »Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind«

Ich kann beim besten Willen nicht sagen, mit welchen Erwartungen ich bei diesem Film ins Kino gegangen bin, allerdings war der erste Eindruck, der sich mir relativ früh regelrecht aufdrängte, und der sich auch bis zum Ende hindurchzog, der, dass David Yates (*1963) hier definitiv keinen Kinderfilm geschaffen hat, auch wenn viele der dargestellten Szenen und phantastischen Figuren auf den ersten Blick genau das sein zu wollen scheinen.

Ein wenig skeptisch war ich schon, immerhin hatte ich mit dem Harry-Potter-Universum (1997-2007, 2016) nach sieben Bänden, einem Bühnenstück und acht Filmen (2001-2010) bereits abgeschlossen, als diese Produktion angekündigt wurde. Aber da Joanne K. Rowling (*1965), um die es zugegebenermaßen in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden war, selbst das Drehbuch schrieb, war ich doch mehr als neugierig, wie sie dieses eigentlich schmale 64-seitige Bändchen unter dem Titel »Phantastische Tierwesen & wo sie zu finden sind«, was die literarische Vorlage bildet und was ein lexikalisches Nachschlagewerk ohne irgendeine Handlung ist, in einen abendfüllenden Spielfilm umfunktionieren wollte. 
Das gleichnamige Sequel, das 1926, zeitlich von seiner Handlung also einige Jahrzehnte vor den Ereignissen um den Zauberlehrling wider Willen Harry Potter, angesiedelt ist und damit mitten in die Zeit der Prohibition in den Vereinigten Staaten von Amerika (1920-1933) und der sich anschließenden Großen Depression (1929-1941) fällt, ist also wohl eher ein Prequel, das als Sequel maskiert ist, und eröffnet die Newt-Scamander-Reihe, die als erstes Spin-off der Harry-Potter-Romane gelten darf. Alles in diesem Film scheint irgendwie dergestalt maskiert zu sein, alles schreit förmlich danach, enttarnt zu werden; die Maske, die äußere Fassade, hinter der sich etwas ganz anderes verbirgt, schlängelt sich wie ein leitmotivischer Basilisk von vorne bis hinten durch alles, was man da so vorgesetzt bekommt, hindurch und lässt den Blick des Zuschauers – natürlich im übertragenen Sinne – zu Stein werden. Denn dieses ganz Andere ist nichts Freundliches, Gutes, es ist etwas abgrundtief Verstörendes, Schlechtes und Böses, etwas, dass an die Urängste im Menschen rührt und an die großen Stoffe der Schwarzen Romantik (oder auch Schauerromantik) des 19. Jahrhunderts erinnert.
Newt Scamander (Eddie Redmayne, *1982), der Hauptprotagonist ist einer der merkwürdigsten und nichtsagendsten Charaktere, die mir je untergekommen sind. Er ist ein wenig verschroben, ein Nerd, wie man heute sagen würde, der aus zunächst nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen mit einem Koffer voller magischer Tiere, die er betreut und vor der Ausrottung bewahren will, nach Amerika reist. Später kommt dann heraus, dass er einen Donnervogel namens Frank wieder in seine angestammte Heimat bringen will – ein exzentrischer Tierfreund also. Scamander ist von der Hogwarts-Schule geflogen, weil er das Leben anderer Schüler gefährdet hat. Kein Geringerer als Albus Dumbledore hat sich für ihn eingesetzt, den Verweis aber nicht verhindern können. 

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Nun wäre es doch spannend, mehr darüber zu erfahren, weil es die Figur menschlicher und greifbarer machen würde. Scamander agiert wie ein fertigausgebildeter Zauberer in allem, was er tut. Er lernt nichts, er entwickelt sich nicht, er fährt stur seinen Stiefel, ohne auf seine Mitmenschen Rücksicht zu nehmen. Und wenn ein als Hauptfigur angelegter Charakter am Ende eines Filmes, dessen Plot als klassische Heldenreise angelegt ist, selbst erklären muss, dass er sich verändert habe, dann ist das mehr als schwach. Aber – ich will das mal nicht zu schwarz sehen –, es sollen ja noch vier weitere Filme folgen, vielleicht macht er ja insgesamt in der geplanten Pentalogie eine entsprechende Entwicklung, die es lohnt, das Schicksal dieses skurrilen Charakters zu verfolgen.

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Ihm zur Seite stehen die Hexenschwestern Porpentina »Tina« und Queenie Goldstein (Katherine Waterston, *1980, und Alison Sudol, *1984) – ein Schelm, wer bei dem jüdischen Namen eine versteckte Anzüglichkeit vermutet – die eine ist hyperaktiv und arbeitet wenig erfolgreich als Aurorin für den MACUSA – den Magischen Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika –, die andere ist, und das macht sie wesentlich interessanter, introvertiert und eine feinsinnige Telepathin. Ebenso wird er durch einen Muggel, in Amerika nennt man sie No-Maj, namens Jacob Kowalski (Dan Fogler, *1976) unterstützt, der die eigentliche, heimliche Hauptfigur des ersten Teils ist, da er alle Merkmale eines echten Helden im Sinne der Heldenreise erfüllt, und Scamander nach ihrem Zusammentreffen für ihn zu einer Art Mentor in Sachen magische Welt mutiert. 
Kowalski entwickelt sich sichtbar weiter und wenn er sich auch schließlich freiwillig dem Vergessenszauber aussetzt, so bekommt doch am Ende er den wunderschönen Moment, die Rückkehr mit dem Elixier, geschenkt, in dem er seinen Traum, eine Bäckerei zu eröffnen, wahrmacht und bald darauf Queenie im Laden entdeckt, die sich während des Abenteuers in ihn verliebt hat. Scamander ist hier nämlich der alte Haudegen, der in der Zaubererwelt Erfahrene, der den untersetzten Tollpatsch mit dem großen Herz in die neue Wirklichkeit einführt und ihm, nach dem großen Vergessen durch das Geschenk von goldenen Occamy-Eierschalen zur Erfüllung seines Traums befähigt.
Soweit, so gut. Alles hört sich sehr nach Kinderbelustigung an. Die vielen bunten und merkwürdigen Tiere, die gezeigt werden und allerhand anstellen, die eindeutig guten und die eindeutig bösen Zauberer, all das wäre für einen Kinderfilm in Ordnung. Aber da gibt es eben auch die dunkle Seite der Macht, Pardon, Magie, die sich an keinem geringeren amerikanischen Trauma als dem der Hexenprozesse von Salem (1692), die den Höhepunkt der Hexenverfolgungen von Neuengland im 17. Jahrhundert bildeten, orientiert. So gibt es im Film die Second Salemers, eine Gruppe von No-Majs, die sich in der Tradition dieser Hexenverfolgungen sehen und diese fortführen wollen. Sie beherbergen ein besonderes Kind, eine besonders starke Hexe mit entsprechend starken Kräften, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass das, was sie bekämpfen, bereits mitten unter ihnen ist. Auch hier ließen sich eine ganze Menge interpretatorischer Ansätze finden, mit denen man tiefer in das Ganze eindringen könnte.
Der Zauberer Percival Graves (Colin Farrell, *1976), als einflussreicher Auror Mitglied des MACUSA und die rechte Hand der Präsidentin, sucht in seiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung dieses besondere Kind, allerdings wird noch nicht wirklich klar, wieso er das tut. Er infiltriert die Salemers durch den jugendlichen Credence (Ezra Miller, *1992), den er lange für einen Squib hält. Dieser Credence, der eigentlich ein mächtiger Zauberer ist, durch sein Leben bei den Salemers allerdings gezwungen ist, seine Kräfte zu unterdrücken, erschafft einen sogenannten Obscurus, ein schemenhaftes dunkles Wesen, das aus unkontrollierbarer, dunkler Energie besteht und das durch das Unterdrücken von Zauberkräften entsteht. Es wirkt wie eine Naturgewalt und kann zu großen Zerstörungen fähig sein. Man könnte es als negative, tödliche Seite der Pubertät ansehen, denn normalerweise überleben Zauberer, die Obscuren erschaffen, das Kindesalter nicht.
Diesen Obscurus zu besiegen, wird dann auch zur großen Herausforderung des restlichen Films, der sich nicht davor scheut, ebenfalls so heikle Themen wie die Todesstrafe in den USA, die im Film sogar im Rahmen eines Prozesses in der Zaubererwelt verhängt und vollstreckt wird, zu thematisieren. Ebenso gibt es einige Hinweise auf den Umgang mit Kindesmissbrauch. Und zum Schluss wird auch Percival Graves als kein Geringerer als der Zauberer Gellert Grindelwald, der allen Harry-Potter-Fans bestens bekannt sein dürfte als bösester Zauberer vor Lord Voldemort, von Newt Scamander demaskiert. Für dessen kurzen Gastauftritt am Ende konnte sogar Johnny Depp (*1963) verpflichtet werden.
Fazit: Den Film gemeinhin als schlechten Spin-off der Harry-Potter-Reihe abzutun, wäre verfehlt. Ihn hochzuloben, ebenso. Die Wahrheit hier liegt wohl wie immer zum Teil im Auge des Betrachters und dann in der goldenen Mitte. Der Film und noch viel mehr die dahinterstehende Geschichte und die Zaubererwelt sind mit viel Liebe zum Detail dargestellt und entworfen. Obwohl es sich in dem bereits bekannten Harry-Potter-Universum bewegt, ist es doch durch den Wechsel des Kontinents als Schauplatz durchaus etwas ganz Anderes und hat seinen eigenen Reiz. Der Film ist von seinen Farben durch die Bank weg dunkel gehalten, was ihm einen düsteren, mystischen Look verleiht. Das ist wohl in erster Linie auch den historischen Referenzen geschuldet, die es immer und immer wieder schaffen, die erdachte Handlung zu erden und in den Bereich des Möglichen zu heben. 
Ein bisschen schließt sich das so geschaffene Universum an die schon mehrfach beschriebene und auf diesem Blog immer wieder thematisierte Multiversalitätstheorie an und erweist sich so als sehr zeitgemäße Form des phantastischen Films. Der Obscurus erinnert stark an die Dementoren von Askaban, ist trotzdem in seiner Wirkung sowohl auf die Außenwelt als auch auf die Innenwelt des erzeugenden Zauberers ungleich dunkler, grausamer und bösartiger, und wohl kaum durch einen Patronus oder eine Tafel Schokolade zu besiegen. Harry Potter ist also erwachsen geworden und deswegen sollte man diesen Film nur sehr bedingt Kindern zeigen, da sie den auf Urängste abzielenden, immanenten sehr psychologischen Horror vieler Passagen des Films noch nicht wirklich verarbeiten können. Für den Erwachsenen jedoch, der die Doppelbödigkeit des Plots und die ganzen Anspielungen auf die aktuelle, zeitgenössische, amerikanische Geschichte und Politik durchschaut, wird es spannend bleiben, auch die nächsten Teile zu sehen und zu erfahren, wie sich die amerikanische Zaubererwelt parallel zur englischen weiterentwickelt. 

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