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Von Winnetou bis Che Guevara – Karl May in den 60er Jahren – Tag 2 »des Symposiums für Karl May«





»Der Ristau hat gerade mein Leben erzählt! Cool!« Der Besucher ist begeistert. Er strahlt über das ganze Gesicht. Und so wie ihm geht es vielen nach diesem ersten Vortrag am zweiten Tag des Symposiums »Karl May in den 60er Jahren« im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Malte Ristau aus Berlin, der ja auch einer der Initiatoren des Symposiums ist, hat soeben in seinem Vortrag »Der kurze Weg nach Westen. Das neue Deutschland und die Generation Karl May« das Lebensgefühl einer ganzen Generation – eben der Generation Karl May – beschrieben und in warmen, schwärmerischen Worten ins Bewusstsein zurückgeholt. Viele Besucher erinnern sich, identifizieren sich. Feststellungen wie »Man kann eher Adenauer mit Karl May vergleichen als Adenauer mit Brandt« oder »Karl May war auf der richtigen Seite – gegen die Yankees« charakterisieren ebenso die 60er Jahre wie Hinweise auf eine sich verlagernde Popkultur: »Alte und neue Traumwelten vermischen sich«, »der Weltraum verdrängt den Wilden Westen« und »es sind erträumte Räume – May erträumte Räume ...« Ristaus Ausführungen münden in der faszinierenden These, dass in den 60er Jahren die Pop-Idole wechseln; das Pierre-Winnetou-Brice-Poster weicht dem Che-Guevara-Poster ...

Prof. Dr. Helmut Schmiedt (*1950) nimmt im Anschluss den Faden auf, webt ihn in seiner bekannt sachlichen und wissenschaftlich fundierten Art und Weise weiter, in dem er die Rezeption Karl Mays in den 60er Jahren im Rahmen der klassisch-tradierten, gut situierten germanistischen Literaturwissenschaft referiert, nicht jedoch, und das ist eine Seltenheit, ohne einige persönliche Erinnerungen einzuflechten. Karl May war wenig populär, eher verpönt, die Karl-May-Forscher mussten immer wieder sehr stark für ihr Thema, ihren Autoren kämpfen. Den eigentlichen Siegeszug in der germanistischen Literaturwissenschaft tritt May, so Schmiedt, erst an, als die 60er Jahre vorbei sind, denn die 60er Jahre sind eine Zeit des Umbruchs, des Weichenstellens, gerade in seiner Disziplin, kurz: ein Paradigmenwechsel.


Den wohl kurzweiligsten Vortrag, der herrlich unorthodox das Publikum oft herzlich lachen ließ, liefert hernach Privatdozent Dr. Thomas Kramer (*1959, Berlin) mit seinem Ausflug in die 60er Jahre in der DDR. Dort gab es eine Reihe interessanter und aus heutiger Sicht skurriler Karl-May-Alternativen, die dennoch das große Vorbild nicht wirklich verleugnen konnten: DEFA-Indianerfilme vor allem mit Gojko Mitić (*1940), »sozialistische Bildergeschichten« und Abenteuerromane.


Ihm schließt sich der bekannte und renommierte Rudi Schweikert (*1952, Mannheim) an, der klug und versiert unter dem Titel »Auf dem Weg nach Sitara« über die Beziehungen zwischen Arno Schmidt (1914-1979), Hans Wollschläger (1935-2007) und dem Mannheimer Karl-May-Forscher Hansotto Hatzig (1919-2001) als dem »Dritten im Hintergrund«.


Nachdem Mittagessen reißt Prof. Dr. Heinz-Peter Preußer (*1962, Bielefeld) in seinen spannenden, sehr dialektischen Ausführungen unter dem Titel »Das neue Deutschland im jugoslawischen Amerika. Romantische Sehnsuchtsorte und der Kult der Verbrüderung in den Winnetou-Filmen« mit so kontroversen Thesen wie »Winnetou ist der bessere Hitler!« das Auditorium aus seiner Lethargie. Überhaupt wird hier zum ersten Mal das der Veranstaltungsart »Symposium« so typische Flair einer angeregten Disputation, einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Diskussion erreicht, da das Publikum seine vom Biorhythmus vorgegebene Schläfrigkeit nach dem Essen einfach abstreift und teilweise sehr emotional auf Preußers Gedankengänge antwortet.


Im Anschluss wird es wieder etwas ruhiger und gediegener: Dr. Ulrich Scheinhammer-Schmid (*1947, Ulm) widmet sich den »Helden ohne Fehl und Tadel« und spricht über »die Rollen der Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand im Film der sechziger Jahre«. Überhaupt wird an gerade an diesen beiden letzten Themen deutlich, wie sehr sich die Karl-May-Gesellschaft bemüht, sich inhaltlich und konzeptionell zu öffnen und die einzelnen Gebiete des differierenden Interesses an Karl May mehr und mehr in ihre Veranstaltungen einzubinden. Ganz wichtig wird es in Zukunft sein, dass der gar nicht mehr so massentaugliche Karl May sind nicht mehr in Festspiel-Freunde, Filmliebhaber und Wissenschaftler spaltet, die alle irgendwie, irgendwo, irgendwann ihr eigenes Süppchen kochen, sondern, dass man sich koordiniert, verbindet und, die Gemeinsamkeiten hervorhebend, sich gegenseitig stark macht.


Nach der Kaffeepause, die, wie alle anderen Pausen auch, Orte der persönlichen Begegnung und es direkten Austausches ist, beschließen Dr. Johannes Zeilinger mit einem hochinteressanten Überblick über die Entstehung und Geschichte der Karl-May-Gesellschaft mit Schwerpunkt in den 60er Jahren, bei dem noch einmal die alten Differenzen zwischen dem Karl-May-Verlag aus Bamberg und der Gesellschaft streiflichtartig aufblitzen, und der weltmännische Prof. Dr. Dr. h. c. mult Bernd Schünemann (*1944, München), der auf den politischen Bühnen der Welt erfahren ist, mit seiner Quasi-Laudatio auf seinen Doktorvater Claus Roxin unter der Themenformulierung »Karl May: Ein beispielhafter Fall. Claus Roxin und die sozialliberale Reform-Ära« die Vortragsreihe des zweiten Tages. Schünemann weist unter anderem darauf hin, dass aufgrund der bekannten Tatsache, dass »die Negation der Negation des Rechts das Recht wiederherstelle«, Karl May sich selbst resozialisiert habe. Ja, und dem ist auch nichts hinzuzufügen.


Am Abend gab es dann den Karl-May-Film »Der Schatz im Silbersee« (1962) als Kinovorführung auf der großen Leinwand, gekonnt, versiert und atmosphärisch dicht eingeführt von Michael Petzel (*1952), dem wohl bedeutendsten May-Film-Kenner, der sich selbst aber nur »als Fan« sieht. Ein gelungener Abschluss eines tollen Symposiumstages.



Der zweite Tag des Symposiums ist ein in vielen Belangen sehr intensiver Tag. Es ist der vollste – gemessen an der Zahl und Dichte der Vorträge, der inhaltlich (abwechslungs)reichste – respektive der immensen thematischen Breite, und der begegnungslastigste, menschlichste mittlere Zeitraum des Symposiums. Die Dozierenden kommen aus ganz Deutschland, von Berlin bis München, von Bielefeld über Mannheim bis Ulm. Sie berichteten anregend und klug wie es zu erwarten ist, aber sie plaudern auch, und das ist etwas Besonderes im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums, ungewohnt biographisch und bekennen unorthodox Persönliches. Die Karl-May-Gesellschaft öffnet sich. Der Reichtum der Karl-May-Forschung und die Faszination des Phänomens Karl May ist, und das zeigt vor allem und gerade dieser zweite Tag, ungebrochen und noch lange nicht am Ende. Am dritten Tag kommt dann der Abschluss und – so viel darf schon verraten werden, das Beste kommt immer zum Schluss.

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