Vom 11. bis 14. Juli 2016 fand in der Ernst-Barlach-Realschule plus in Höhr-Grenzhausen (=> Homepage) unter dem Motto »Tage der Begegnung« eine Projektwoche statt, in der die Schülerinnen und Schüler Schule einmal ganz anders erleben konnten. Statt dem Regelunterricht wurden freie Projekte angeboten. Das hatte es 2015 schon einmal gegeben, damals allerdings ohne festes Motto. Die letzte Schulwoche wurde einmal anders gestaltet und die Erfahrungen waren durch die Bank positive. Nicht nur den Kindern und Jugendlichen machte es sichtlich ungeheuren Spaß, auch den Lehrerinnen und Lehrern ging die Arbeit einmal ganz anders von der Hand, nicht unbedingt leichter, aber man war doch mit wesentlich mehr Elan und Freude bei der Sache.
Das übertrug sich auf alle Beteiligten. Bereits das ganze Schuljahr hindurch hatte es verschiedene Veranstaltungen gegeben, die sich alle dem Thema »Begegnungen« widmeten. Insbesondere ging es um die Flüchtlingsproblematik und das Kennen lernen und Verstehen der Flüchtlinge und ihrer Situation. So hatte es unter anderem am Elternsprechtag ein »Café der Begegnung« gegeben und eine Abendveranstaltung, die als »Konzert der Begegnung« deklariert war.
Für unser Projekt begannen wir schon einige Wochen im Voraus mit der Arbeit. Wir trafen uns nachmittags in der Schule mit einem vierköpfigen Team, alles Schüler aus der Oberstufe unserer FOS (Fachoberschule), und entwickelten ein Drehbuch. Die Idee war, das Schicksal eines syrischen Flüchtlings von der Flucht nach Deutschland bis zur Integration in unsere Gesellschaft zu zeigen, mit allem, was dazugehörte. Ein ehrgeiziges Unterfangen. Der Inhalt des Drehbuchs wurde von der Jugendschutzstelle der Kreisverwaltung Westerwald und der Polizei Koblenz für unbedenklich erklärt und als Projekt zur Darstellung der aktuellen Flüchtlingsthematik eingestuft.
Als das Drehbuch fertig war, wurde uns rasch klar, dass wir die ganzen vier Projekttage zum Drehen brauchen würden. Im Jahr zuvor hatten wir zweieinhalb Tage gedreht und einen halben Tag und eine ganze Nacht geschnitten. Das würde hier so nicht mehr funktionieren, dafür war das Material zu umfangreich.
Also wurde ein Drehplan geschrieben, es wurde die Technik mehrfach erprobt. Wir drehten mit einem Camcorder (Panasonic HC-X909), einer DSLR-Kamera (Canon EOS 700d mit einem Tamron 18-270mm F/3.5-6.3 Objektiv) und einer Bridge-Kamera (Praktika Luxmedia 16-Z21C). Hinzu kamen zwei separate Tonmikrophone (Rode NTG 2 und Yamaha Pocketrak W24), alles in allem also keine technisch wirklich brillante Ausstattung, aber auch keine ganz schlechte. Finanzielle Unterstützung gab es keine, also musste es damit irgendwie gehen.
Die Verbandsgemeinde und die Städte Höhr-Grenzhausen und Bendorf (=> Homepage) sowie der Meisterbetrieb Schreinerei Lellig GmbH, in Bendorf, erteilten bereitwillig die Drehgenehmigungen. Die Metzgerei Kleppel sorgte während des Drehs für die Verpflegung.
An den vier Tagen drehten wir in Bendorf (alle Szenen im Ausland, vor allem Syrien-Kriegsgebiet und das Auffanglager an der österreichischen Grenze) und Höhr-Grenzhausen (die Szenen in der Schule und im Park). Für die kurze Sequenz am Meer kamen wir in die naturnahe Wassererlebniswelt Schwimmteichanlage Linderhohl, wo wir dann sogar einen großen Greenscreen benutzen konnten.
Der Kollege Martin Salmann, seines Zeichens Hauptfeldwebel a. D. mit Erfahrungen aus Afghanistan beriet unsere jugendlichen Schauspieler in allen militärischen Fragen und wies sie in die Aufgaben eines Soldaten ein.
Frau Dipl. Reha.-Psych. (FH) Steffi Irmscher-Grothen aus München gab sachdienliche Hinweise, die psychologische Situation der Flüchtlinge betreffend, und die DaZ-Fachkollegin Bettina Hahn-Müller, die an der Schule auch die Flüchtlingskinder in der deutschen Sprache unterrichtet, sowie die Kollegin Anne Herrig setzen sich unermüdlichen für das Projekt ein. Ich weiß nicht, ob wir es ohne sie geschafft hätten.
Da eigentlich Bedeutsame an der ganzen Sache war aber die Besetzung. In den Hauptrollen sind im Film echte syrische Flüchtlinge zu sehen, die das alles erlebt hatten und deswegen wohl diese Rolle am authentischsten verkörpern konnten. Sie brachten das originale Arabisch mit, was wir haben wollten, sie waren ungeheuer fleißig und engagiert, freundlich, kollegial und kommunikativ. Wir haben viel von ihnen gelernt und feststellen dürfen, dass es einfach sehr angenehme und tolle Menschen sind.
»Ich finde, es ist einfach angebracht, solche (ich nenne es mal) Aktionen zu machen. Denn so können die Schüler mehr mit solchen Situationen anfangen, weil es vorher so weit weg ist. Ich konnte mich durch dieses Projekt viel mehr mit den Flüchtlingen identifizieren, auch wenn es nur gespielt war. Die Flüchtlinge waren ja echte.« (Susanne Heuser, 10d)
Martin Ramb, seines Zeichens Schulamtsdirektor i. K. des Bistums Limburg und Chefredakteur des EULENFISCHs, der religionspädagogischen Fachzeitschrift (=> Homepage), führte mit mir diesbezüglich ein Interview, das ich im Folgenden verschriftlicht wiedergebe.
Martin Ramb:
Warum macht man so was in der Schule?
Peter Wayand:
Wir haben in der Schule einige Veranstaltungen zum Thema »Begegnungen« gemacht, ein »Begegnungscafé«, ein »Konzert der Begegnungen«, und die Projektwoche stand unter dem Motto: »Woche der Begegnungen«. Also haben wir beschlossen, dem Schicksal der syrischen Flüchtlinge zu begegnen und deren Situation darzustellen und um Verständnis zu werben.
Martin Ramb:
Hängt das mit mit der Zusammensetzung der Schülerschaft zusammen?
Peter Wayand:
Eindeutig ja, wir haben eine Menge Flüchtlingskinder, die bei uns zur Schule gehen und den DaZ-Unterricht besuchen (Deutsch als Zweitsprache), den man ja auch in einer Szene des Films sehen kann.
Martin Ramb:
Gibt es einen lokalen Anlass?
Peter Wayand:
Der lokale Anlass war das Konzept »Begegnungen«, das während des gesamten letzten Schuljahrs immer ein Thema war.
Martin Ramb:
Wie ist es den Schülern mit dem Film ergangen?
Peter Wayand:
Also die Schülerinnen und Schüler haben sehr viel während des Filmprojekts gelernt, nach eigenen Aussagen können sie sich nun viel besser in die Situation der Flüchtlinge hineinversetzen. Sie haben sich gegenseitig viel beigebracht, nicht nur was die Sprache betrifft, sondern auch viel Kulturelles. Es sind Freundschaften entstanden, die keine Ländergrenzen und keine Kulturunterschiede kennen. Man lernt voneinander. Die weiteren Reaktionen muss man jetzt, nachdem der Film dann auf YouTube veröffentlicht worden ist, erst einmal abwarten. Wir haben den Film allerdings bei den 63. Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen eingereicht.
Martin Ramb:
Als Religionslehrer haben Sie sicher auch einen besonderen Blick auf das Thema »Flucht«. Wie findet das Thema Raum in Ihrem RU?
Peter Wayand:
Die »Flucht in die Fremde« ist ein zentrales Motiv der Bibel. Jesus selbst war ein Flüchtling in Ägypten und das bereits kurz nach seiner Geburt. Christen sind durch ihre gesamte Geschichte hindurch verfolgt worden und mussten flüchten, auch heute noch, wenn man sich zum Beispiel mal das Schicksal der Eziden ansieht.
Christen nehmen aber auch Flüchtlinge in Barmherzigkeit auf und kümmern sich um sie. Auch das ist ein zentrales Motiv der Bibel. »Was du dem Geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan.« (Mt 25,40) Die Fluchtthematik wirkt also in beide Richtungen: Nach außen, in dem jemand aus seinem angestammten kulturellen Umfeld weggehen muss, und nach innen, in dem er in einem neuen kulturellen Umfeld aufgenommen und angenommen wird, ohne, und das ist die Verbindung zum Grundgesetz, dass man nach seiner Rasse, seiner Herkunft, seiner Religion oder Weltanschauung fragt. Fliehen und ankommen, Flucht und Aufnahme, das sind die zwei Seiten einer Medaille.
Fazit: Der Projektfilm »Fremd« ist nun endlich abgeschlossen und kann auf YouTube angesehen werden. Es ist unser zweiter Film, der erste hieß »Extrem«, wurde 2015 gedreht und befasste sich mit der Drogenprävention. Film ist, wie Theater ja auch, didaktisch gesehen immer als Makromethode zu verstehen, mit der sehr viele, unterschiedliche Aspekte und Formen des Lehrens und Lernens angeregt und aktiviert werden können. Rückblickend muss ich sagen, es hat uns doch sehr viel Zeit, Kraft und Energie gekostet, aber ich denke, alle Beteiligten haben da eine sehr stressige und doch schöne und tolle Zeit gehabt und wertvolle Erfahrungen gesammelt, die sie nicht mehr missen mögen. Und darauf kommt es letztlich doch an. Ich kann ein solches Projekt nur uneingeschränkt empfehlen.
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