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Ein »Kulturverführer« und »Die Liebenden von Mantua« – Ralph Dutli in Höhr-Grenzhausen


»Wenn ich in diesem Leben eines nicht suche, dann ist es Ruhe. Dafür sind die Toten zuständig«, erklärt der Schweizer Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Romancier, Biograph und Übersetzer Dr. phil. Ralph Dutli, Jahrgang 1954 (=> Homepage), bei einer Lesung am Abend des 1. Juli 2016 im Keramikmuseum in Höhr-Grenzhausen und lächelt dabei hintersinnig in die kleine Runde scheinbar handverlesener Zuhörer. Der mehrfach preisgekrönte und ausgezeichnete Autor, Romanist und Russist, ist in die kleine Stadt am Rand des Westerwalds gekommen, um im Rahmen einer Veranstaltung des »Kultursommers Rheinland-Pfalz« (=> Homepage) und der »Westerwälder Literaturtage 2016« aus seinem Roman »Die Liebenden von Mantua« zu lesen, der 2015 im Göttinger Wallstein Verlag (=> Homepage) erschienen ist und es im selben Jahr auf die Longlist des deutschen Buchpreises (=> Homepage) geschafft hat.



Dutli ist im klassischen Sinn das, was man einen intellektuellen Schriftsteller nennen muss, den »alten« Formen verpflichtet, in der »alten« Sprache verhaftet, die man von der Renaissance bis in das frühe 20. Jahrhundert als das Maß allen sprachkünstlerischen Wollens und Vermögens postulierte. Nein, dem parataktischen Schreibstil seiner modernen Kollegen Peter Stamm, Jahrgang 1963 (=> Homepage), Daniel Kehlmann, Jahrgang 1975 (=> Homepage), oder Julia Franck, Jahrgang 1970 (=> Homepage), kann er nichts abgewinnen, er schreibt es so, wie er es schreiben muss, ohne darüber nachzudenken, ob und wie ihn einst die Literaturgeschichte des frühen 21. Jahrhunderts einordnen wird. »Nein, ich bin auch keine Judith Hermann (Jahrgang 1970; => Homepage)!«, erklärt er aus vollster Überzeugung und im unausgesprochenen Nachhall klingt fast schon das »Wollen Sie mich beleidigen?« mit. 



Der konservative Dutli geht nicht mit der Mode, er bewahrt als das Althergebrachte im allzu angepassten Zeitgeist, und das tut er mit Leidenschaft, Witz, einer breitgefächerten Intellektualität, aber scheinbar unbewusst. Er ist ein Universalgelehrter im goethe’schen Sinn, so will es scheinen, er beherrscht sein Metier und sein Handwerk mit traumwandlerischer Sicherheit, und er verlangt seinen Lesern und Zuhörern einiges ab. Er würde sich sicherlich mit seinem Kollegen, dem deutschen Schriftsteller und Regisseur Patrick Roth, Jahrgang 1953 (=> Homepage), glänzend verstehen, denn man ist sich in so vielen Dingen einig. Wer weiß, vielleicht kennen sich die beiden ja, immerhin verbindet sie, wie man hören konnte, mehr als nur in etwa dasselbe Alter und benachbarte Wohnorte; Roth lebt in Mannheim.



Eine weitere künstlerische Verwandtschaft lässt sich zur deutschen Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, Jahrgang 1954, feststellen, denn für alle drei ist die Wichtigkeit des Traums und des Träumens essentiell und existentiell. Sie verbinden alles das, was wirklich, was greifbar und sichtbar ist, mit dem, was sich in künstlichen und natürlichen Träumen manifestiert. Auf diese Art und Weise entsteht eine neue Form der Realität, eine sich stetig verändernde und sich doch treubleibende Wirklichkeit, die in gewissem Sinn »magisch« zu nennen ist. Dieser »magische Realismus« (»realismo mágico«), diese besondere künstlerische Strömung, die in Roths, Lewitscharoffs und Dutlis Werken ausgebreitet wird und die sich auf den ersten Blick der Phantastik, dem Wunderbaren, anzunähern scheint, ist nicht mit parataktischen Mitteln greif- und abbildbar. Dazu braucht es eine »antiquierte«, intellektuelle Sprache, mitunter lange, verschlungene Sätze, auf die sich der Leser bewusst einlassen muss, die nicht einfach so nebenbei zur Urlaubs- oder Strandlektüre taugen und in die metaphorische Bedeutungen als kunstvolles Netz eingewoben sind. Leider schrumpft in der heutigen Zeit die Zielgruppe, die Leserschaft, die solche Sprachkunstwerke noch zu schätzen weiß, zusehens.




Dies alles ist jedoch nur eine technische Methode, denn im Mittelpunkt seines Schaffens steht vorrangig das spielerische Vermitteln von Wissen um Werte, Normen, Weltanschauungen, Philosophie und Theologie im Allgemeinen. Diese Mischung liest sich sehr »süffig«, konstatiert Christopher Paul Campbell, Referent für Erwachsenenbildung im Bistum Limburg und Mitarbeiter der Abteilung Kunst und Museen der Diözese Limburg, begeistert, der zwischen den Lesungsblöcken immer wieder moderierend das Gespräch mit Dutli sucht und dem zahlenmäßig leider sehr kleinen Publikum die Möglichkeit eröffnet, selbst in die Diskussion mit dem Schriftsteller einzusteigen, was aber nur sehr zurückhaltend und beinahe scheu geschieht.






Kein Wunder, denn das »essayistische Romanexperiment« »Die Liebenden von Mantua«, der nach einem spektakulären Skelettfund (»amanti di Valdaro«) aus der Jungsteinzeit in einem Vorort von Mantua im Jahr 2007 benannt ist, ist schon starker Tobak, ein »Archäologiekrimi mit Thrillerelementen«, der erst einmal verdaut sein möchte. Es sind die Kontraste, die Dutli interessieren, das Hohe und das Niedrige. Campbell ist fasziniert von der »Masse an Handlung« auf der einen Seite und den vorlesungsartigen, wissensvermittelnden Einschüben auf der anderen Seite.

Quelle
Worum geht es in diesem Roman? Die berühmten ineinander verschlungenen Skelette verschwinden nach Untersuchungen aus einem archäologischen Labor und der Schriftsteller Manu macht sich auf die Suche nach dem verlorenen Steinzeitpaar. Doch schon bald wird er selbst entführt und auf das Anwesen eines merkwürdigen Grafen gebracht. Er soll dabei helfen eine neue Religion der Liebe zu begründen, die nicht den auferstandenen Jesus Christus zum Mittelpunkt hat, sondern die Liebenden von Mantua.








Die Stadt Mantua, das Anwesen des Grafen, werden durch den magischen Realismus verklärt, die scheinbaren Grenzen der vierten Dimension verschwimmen und so durchwandert der Leser noch einmal das Mantua der Renaissance, allerdings nicht so, wie es wirklich war, sondern als eine Wiedergeburt aus der Phantasie des Autors in Verbindung mit einer hervorragenden Recherchearbeit. Ebenso begegnet er noch einmal dem Maler Andrea Mantegna (1431-1506) und dem Dichter Vergil (70-19 v. Chr), allerdings in phantastischen, magisch verklärten Posen, in verrückten Wirklichkeiten, und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Liebe schlechterdings nur eine Utopie ist.




Eingerahmt wird die Lesung von den passend zum Thema ausgesuchten und mit Dutli abgesprochenen Gitarren- und/oder Lautenwerken aus dem Mantua der Renaissance. Der Gitarrist und Instrumentallehrer Volker Höh, Jahrgang 1959, brilliert an der Konzertgitarre mit einer Sicherheit und Verve, die es einem schier unmöglich macht, seinem Spiel nicht fasziniert und verzückt zu lauschen.

Und so gerät diese Lesung ähnlich den rätselhaft ineinander verschlungenen rätselhaften Skeletten von Valdaro zu einem interessanten Dialog zwischen den Kulturen, zwischen essayistisch-lyrischer Prosa und den gefälligen Klängen der Renaissance-Musik, zwischen der intellektuellen Skepsis der Moderne und der harmonischen Hofmusik des ausgehenden Mittelalters, ganz im Sinne des ausrichtenden Veranstaltungsformats »Denkbares. Begegnungen mit Menschen und Büchern«, das seit dem Frühjahr 2015 federführend von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (=> Homepage) in Person von Herrn Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski, Jahrgang 1974, und Martin W. Ramb, Jahrgang 1969, vertreten wird. 

Begegnungen zwischen Menschen und Büchern sind immer aber auch Begegnungen zwischen unterschiedlichen Kulturen mit differierenden Denkweisen und bieten eine gute Möglichkeit zu einem Generationenaustausch, zu einem Lernen der Jungen von den Alten und der Alten von den Jungen in gegenseitigem Respekt und Achtung vor den Leistungen des jeweils anderen. Dass die Musik hier als eine Art Klebstoff und Rahmen wirken darf und muss, der irgendwie alles zusammenfügt und zusammenhält, ist nur ein weiterer Beweis für die unsterbliche Seele der Kunst, von der ein Stück in uns allen blüht, ebenso wie ein Stück des Göttlichen.


Man darf also gespannt sein auf weitere Veranstaltungen in dieser Reihe, denen man eine zahlenmäßig höhere Aufmerksamkeit wünschen darf, und denen man zu einer größeren Breite an Autoren raten möchte, nicht ausschließlich nur solche aus dem renommierten Wallstein Verlag.








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