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Liebe – ein feministisches Märchenkonstrukt? – Cedric Nicolas-Troyans »The Huntsman & The Ice Queen«

Was wäre wohl passiert, wenn sich die Gebrüder Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) mit Hans Christian Andersen (1805-1875) an einen Tisch gesetzt und gemeinsam ein Märchen zu Papier gebracht hätten? Würden sich dann das Schneewittchen (engl. Snow White) und die Schneekönigin (engl. Ice Queen) zum Kaffeekränzchen treffen? Würden Kinder- und Hausmärchen mit Kunstmärchen verschmelzen? Was, wenn sich dann zu dem illustren Trio noch J. R. R. Tolkien (1892-1973) und C. S. Lewis (1898-1963) gesellen und die Trolle und Gnome, die sagenhaften Kreaturen aus den angelsächsischen und nordischen Mythologien, in die deutschen Zauberwälder einfallen würden? Das »Spieglein an der Wand« als Quell ewigen Lebens? Ein sagenhaftes Märchen-Crossover? Phantastik mit Kunstanspruch? Geht so etwas wirklich und dann noch mit den Mitteln der Kunstform »Film«? In den richtigen Händen mit Sicherheit, jedoch ist ein solcher Anspruch für den französischen Filmregisseur und Filmtechniker Cedric Nicolas-Troyan (*1969) wohl eine Nummer zu groß. Eine Spezialisierung auf visuelle Effekte allein macht eben noch keinen erfolgreichen Film.

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Um es gleich vorwegzunehmen, »The Huntsman & The Ice Queen« ist kein Märchenfilm für Kinder. Er ist ein Märchenfilm für Erwachsene. Oder ist er vielleicht gar kein Märchenfilm? Ist er ein Fantasyfilm? Also Merkmale der Phantastik weist er auf alle Fälle auf. Hm ... hier kann man bereits in Grübeln kommen. – Der Titel heißt im Original »The Huntsman: Winter’s War« (2016) – ein Schelm, wer da nicht an den »Winter Soldier« (2014) denkt – und in der deutschen Fassung heißt er eben »The Huntsman & The Ice Queen« – auch hier denkt man unwillkürlich an den Disney-Animationsfilm »Die Eiskönigin – Völlig unverfroren« (2013) –, ein englischer Originaltitel wird also für die deutsche Fassung in einen anderen englischen (sic!) Titel umgewandelt? Jetzt gesellt sich zum Grübeln noch die Verwirrung. Was, bitte, soll das? Klingt »Der Jäger und die Eiskönigin« oder »Der Jäger: Krieg im Winter« oder von mir aus auch »Winterkriege« so schlecht, dass man auf das Englische ausweichen muss?

Doch damit nicht genug. Dieser Film, was immer er auch ist oder zu sein scheint oder vorgibt zu sein, kann sich nicht wirklich entscheiden, was er sein will. Er kann sich in fast allen Belangen nicht entscheiden. Eigentlich soll er ein Prequel zu »Snow White & The Huntsman« (2012) sein, irgendwie ist er aber auch ein Sequel, da er zum einen sieben Jahre vor den Ereignissen von »Snow White & The Huntsman« spielt, andererseits aber auch kurz danach. Der Zuschauer erfährt etwas über die Herkunft Erics, des Huntsman, und sein Schicksal nach seiner Begegnung mit Snow White. Das wirkt wie eine Rahmenhandlung um die Geschehnisse in »Snow White & The Huntsman«, die aber keinerlei Einfluss auf oder Bedeutung für die Binnenhandlung hat.

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Es ist irgendwie alles in einem. Eine krude Mischung, die eine ziemlich verschrobene Handlung um die pseudophilosophische Frage konstruiert, ob die Liebe eine Himmelsmacht ist, die alles besiegen kann und alles überdauert. Pseudophilosophisch deswegen, weil keine wirkliche Antwort gegeben wird – oder vielleicht doch gegeben wird? – jedenfalls ist alles sehr vorhersehbar und ein Klischee wird an das nächste gereiht wie Perlen auf das Band einer Kette.

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Das Ganze wäre ja als Satire auf das Genre Märchen noch ganz nett und könnte witzig sein, aber die Gags im Film wirken flach, lahm und programmiert. Gnome sind blaue, tumbe Teufel mit Widderhörnern und Zwerge sind dumme Witzfiguren. Gimli hätte sich in Grund und Boden geschämt. Überhaupt sind die Dialoge wenig ausgearbeitet – jedenfalls in der deutschen Synchronisation – und wirken hölzern und lieblos. Und es gibt noch eine andere misslungene Verwandtschaft zu einem Film, der trotzdem um vieles gelungener ist als dieser: »Maleficent – Die dunkle Fee« (2014), den ich auf diesem Blog auch schon besprochen habe.

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Denn »The Huntsman & The Ice Queen« ist wieder ein Film, der sämtliche feministischen Thesen über die Liebe und die Männerwelt kritiklos bejaht und geradezu frenetisch feiert. Ob das beabsichtigt ist, wird nicht wirklich klar. Obwohl der strahlende Held Eric, The Huntsman (Chris Hemsworth, *1983 erneut in dieser Rolle) – er strahlt wirklich, egal, was ihm passiert und wie schlecht es ihm geht, fast dauernd in diesem Film –, eindeutig ein Mann ist, so ist er doch ein derart klischeebeladener Held, dass es einen wundert, dass sich der Schauspieler für so etwas hergibt. Er wirkt in dieser Rolle wie der mächtige Donnergott Thor auf Erholungsurlaub! Ansonsten ist die übrige Hauptbesetzung eine Mädels-WG, die es in sich hat. Da wären zunächst die böse Königin Ravenna (ebenfalls in diese Rolle zurückgekehrt, die hochkarätige Charlize Theron, *1975, »Mad Max: Fury Road« (2015) und »A Million Ways to Die in the West« (2014)), ihre Schwester Freya (Emily Blunt, *1983, zuletzt in »Sicario« (2015) und »Edge of Tomorrow«(2014)), die und Sara (Jessica Chastain, *1977, grandios in »Interstellar« (2014)), die »Braut« des Huntsman, der er sich in ewiger Liebe, »im Leben wie im Tod«, verbunden fühlt. Die übrigen Rollen (u. a. Colin Morgan, *1986, Sam Claflin, *1986, und Nick Frost, *1972), gerade die männlichen, sind getrost zu vernachlässigen, denn sie haben keinerlei wirkliche Bedeutung oder Einfluss auf die verworrene, dennoch aber eindimensional gestrickte Handlung.

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Die Männer in diesem Film sind immer schwach, ähnlich, wie es auch in »Maleficent« schon war, allerdings sind sie hier nicht einfach nur schwach, sie sind dumm, einfältig, gewalttätig und den Frauen haushoch unterlegen, ja, auch Eric selbst. Was aber eine geschmeidige und mit weiblichen Waffen zur Perfektion gebrachte Auseinandersetzung werden könnte, die Chance gibt es tatsächlich an manchen Stellen, wird zu einer teilweise pubertär wirkenden Zickerei, einem Sud aus »Wer ist die Schönste im ganzen Land?« und »Ich bin eifersüchtig und spann dir deinen Kerl aus« Getue. Kurz und gut, so sieht wohl ein feministischer Anachronismus aus. 

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Die ältere Schwester erweckt in der jüngeren das X-Gen und damit die magischen Eigenschaften, die diese gar nicht zu haben glaubte. Ein Geschwisterstreit, der mit Morden und Psychoterror ausgefochten wird. Die »X-Men« lassen grüßen. Die jüngere Schwester, die auch noch den Namen einer der bekanntesten Göttinnen der nordischen Mythologie trägt, nämlich der »Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings, des Glücks und der Liebe«, sowie der »Lehrerin des Zaubers«, mutiert zur eisigen Rachegöttin, zur Schnee-, Pardon, Eiskönigin. Sie zieht sich eine Armee von hartgesottenen Kriegern, den Huntsman, heran, denen sie glaubt, die Fähigkeit zu lieben nehmen zu können. Verstöße gegen das Liebesverbot werden grausam bestraft. Der Huntsman Eric und die »Huntswoman« Sara verlieben sich, wollen das Schloss verlassen und werden durch einen Zaubertrick für sieben Jahre voneinander getrennt. Die »sieben Jahre« sind auch ein bekanntes Motiv. Die Eiskönigin stiehlt Snow White den Zauberspiegel und erweckt ungewollt ihre Schwester Ravenna wieder zum Leben. Ravenna versucht, Freya erneut zu manipulieren. Eric und Sara begegnen einander wieder und verbünden sich, um den Spiegel zurückzuholen. Der Rest ist gut vorstellbar weil vorhersehbar.


Der Versuch einer tiefenpsychologischen Charakterstudie scheitert kläglich: Was passiert, wenn man Kindern die Eltern nimmt, sie ganz ohne Liebe aufwachsen lässt und einem permanenten Gewalt- und Kriegstraining aussetzt? Nun, Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) und Harry Harlow (1905-1981) hätten ihre wahre Freude an diesem Experiment gehabt, das bereits schon unter ähnlichen Vorzeichen im 13. Jahrhundert von Friedrich II. (1712-1786) und unter Pharao Psammetich I. (664-610 v. Chr.) Doch dieser Ansatz bleibt im Film eben nur das, ein Ansatz. Er wird nicht verfolgt, das Konfliktpotential, das sich hieraus ergibt, lässt man im Sande verrinnen und tut einfach so, als habe eine solche »Erziehung«, wie die Eiskönigin die durchführt, keine Folgen für die Psyche der Kinder. Diese zeigen keine Anzeichen des Kaspar-Hauser-Syndroms oder von Hospitalismus. Sie werden einfach nur zu knallharten Kämpfern.


Positiv muss man allerdings bemerken, dass der Film brillant in Szene gesetzt, ausgezeichnet fotografiert und tricktechnisch ein Feuerwerk an sprühenden Ideen und Zitaten aus anderen Filmen ist, sowohl Filmen, die schon älter sind, als auch Filmen, die noch kommen werden. So erklimmt zum Beispiel der Eric einen Berg, um dann in einem tollkühnen Sprung auf das Dach einer Burg zu springen – eine ganz ähnliche Szene kennt man aus dem Trailer zu »Warcraft«, nur springt da einer aus großer Höhe auf einen Vogel, um auf seinem Rücken in die Schlacht zu fliegen. Doch – und damit schließt sich der Kreis und ich komme auf mein eingangs vorweggenommenes Fazit zurück – machen gute bis sehr gute visuelle Effekte und tolle Bilder leider noch keinen tollen Film, so toll und hochkarätig die Besetzung auch sein mag.

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