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Nur eine Kerbe in der Mauer des Schweigens – Tom McCarthys SPOTLIGHT (2015)



»Cu è surdu, orbu e taci, campa cent’ anni ’mpaci«/
»Wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden.« 
(Sizilianisches Sprichwort)

Investigativer Journalismus ist ein beinhartes Geschäft und durchaus nicht ungefährlich für diejenigen, die unangenehme Wahrheiten aufspüren, aufdecken und enthüllen. Die Darstellung dieser Arbeit im Film, vor allem dann, wenn es um tatsächliche, wahre Begebenheiten geht, ist immer ein schwieriges Unterfangen, für das Schauspieler, Regisseur und das komplette Filmteam sehr viel Fein-, Takt- und Fingerspitzengefühl benötigen, wenn sie es nicht vermasseln wollen.

Noch komplizierter wird es, wenn es nicht unbedingt um ein politisches, sondern um ein religiöses Problem geht, das die äußerst empfindliche Intimsphäre des Menschen angeht. In diesem Fall geht es um die Aufdeckung eines Massenmissbrauchsskandals an Kindern durch katholische Geistliche in Boston. Ein Reizthema, ganz ohne Frage. Aber eben auch ein Thema, dem man sich als religiöser, theologisch gebildeter Mensch ebenso stellen muss, wie als ethischer, philosophisch humanistischer Atheist.

Quelle
»Spotlight« zeigt in halbdokumentarischer halbspielfilmischer Form die Arbeit der gleichnamigen Abteilung des »The Boston Globe«, die in 2001 in zeitlicher Nähe zu den Geschehnissen vom 11. September zu mehreren Fällen von Kindesmissbrauch in Boston seit den 1970er Jahren recherchieren. Veranlasst dazu wird Spotlight durch einen neuen Herausgeber, einen Juden namens Marty Baron (Liev Schreiber). »Manchmal braucht es einen Außenseiter«, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, und eine solche Arbeit zu erledigen, heißt es da. In diesem Sinne ist der einzige Anwalt, der die Sache der Opfer vertritt, Mitchell Garabedian (Stanley Tucci), folgerichtig ein Armenier. 

Das Spotlight-Team (u. a. Mark Ruffalo, Rachel McAdams, John Slattery) um Walter „Robby“ Robinson (Michael Keaton) macht sich an die Arbeit und stößt überall auf eine Mauer des Schweigens, die sie zwar mit viel Mühe letztlich für die Stadt Boston durchdringen können, in die sie aber angesichts der globalen Ausweitung des Problems letztlich doch nur eine Kerbe schlagen können. 

Quelle
Es kommen sowohl Opfer als auch Täter zu Wort. Da fallen Sätze wie »Als armer Junge aus einer armen Gegend ist Religion sehr wichtig.«, »Kann man Gott etwas abschlagen?« und »Die Kirche denkt in Jahrhunderten.« Es werden die kirchliche Machenschaften, die sich vor allem auf das Wirken des renommierten Kardinals Bernhard Francis Law (*1931), dem Erzbischof des Erzbistums Boston, beziehen, auf eine Ebene gerückt mit säkularen Anwaltszirkeln, für die der Kindesmissbrauch durch die Priester ein lukratives Geschäft zu sein scheint. Das Ganze erinnert sehr an die sizilianische Mafia und deren ehernes Gesetz der Omertà

Die Missbrauchsopfer werden oft nach dem Grad der Scham ausgewählt. Je mehr sie sich schämen, desto geringer das Risiko, dass sie etwas dagegen unternehmen. Und ein Missbrauchsdelikt verjährt im amerikanischen Recht bereits nach wenigen Jahren. Und die, die sich am meisten schämen, sind die Ärmsten der Armen, die, die im sozialen Gefüge ganz weit unten stehen. Dadurch werde der sexuelle Missbrauch gleichzeitig ein »spiritueller Missbrauch«, was noch viel schlimmer sei. 
Sollte sich doch ein Opfer dazu entschließen, den Peiniger anzuzeigen, gibt es in der Regel sogenannte »private Mediationen«, das heißt, es kommt zu direkten Verhandlungen mit der Kirche, ein weltliches Gericht wird gar nicht erst zwischengeschaltet, es erfolgt keine Anzeige, sondern die Kirche regelt das intern durch »krankheitsbedingte« Versetzungen oder ähnlich gelagerte Begründungen. Die Kirche unterhält sogenannte »Behandlungszentren«, in denen pädophile Priester behandelt und therapiert werden.

Eines der wichtigsten Argumente für das Verhalten der Kirche in diesen Fällen ist hier der Zölibat, der »eine Atmosphäre der Geheimhaltung schafft, die wiederum die Pädophilie schützt«. Gleichzeitig wird aber die umgebende weltliche Gesellschaft nicht aus der Pflicht genommen, denn »wenn viele helfen, ein Kind großzuziehen, helfen auch viele, es zu missbrauchen«.
Der Film, der auf einem Drehbuch von Tom McCarthy und Josh Singer aus dem Jahr 2013 basiert und seine Uraufführung bereits am 3. September 2015 bei den 72. Internationalen Filmfestspielen von Venedig erlebte, wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet (Golden Globe Award 2016, Critics Choice Awards 2016, British Academy Film Awards 2016, u. a.) und erhielt jüngst den Oscar für den besten Film und das beste Originaldrehbuch sowie Nominierungen in vier weiteren Kategorien.

Was hier wohltuend auffällt, ist, dass der Film keine effekthaschende Klischeereiterei, sondern eine nüchterne und trotzdem nicht verharmlosende Darstellung der Geschehnisse zeigt. Er bemüht sich um größtmögliche Objektivität, die dem Zuschauer als mündigem Christen und Bürger nach Vorlage aller Fakten ein eigenes Urteil zutrauen und ermöglichen. Die Folgen für die Kirche, dass eine Menge Menschen ihr nicht mehr vertrauen, in massive Glaubenskrisen geraten und austreten oder den Gottesdienst nicht mehr besuchen, wird genauso dargestellt, wie die Tatsache, dass die Kirche eine Institution von Menschen ist, die menschliche Fehler und Schwächen haben. Respektheischend ist hier auch die Reaktion der Katholischen Kirche auf den Film zu nennen. So findet sich in einem Artikel von John L. Allen Jr. in »Crux« folgende Passage, die für sich selbst spricht: »A Vatican Radio commentator also said the Globe’s reporting, upon which the film is based, helped the Church in the United States “to accept fully the sin, to admit it publicly, and to pay all the consequences.”«
Trotz allem, und das soll hier nicht die Schwere des Themas und die Not und das Leiden der Opfer schmälern, möchte ich doch anmerken, dass der Film in mir persönlich nicht die Betroffenheit auslösen konnte, die er definitiv auslösen wollte, obwohl er absolut sehenswert ist und bleibt. Dafür ging man wiederum zu objektiv an die Sache heran, die Emotionalität blieb komplett auf der Strecke, wodurch die vereinzelten Gefühlsausbrüche von Mark Ruffalo aufgesetzt und unecht wirkten. Man schaute eben investigativen Journalisten bei der Arbeit zu, die zwar wichtig und hochbrisant war und ist, die den Zuschauer aber eben in gewisser Weise außen vor lässt. Hier wurde meines Erachtens nach eine Menge Potential verspielt.

Pädophilie ist und bleibt ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht nur einseitig auf die Kirche, und hier insbesondere auf die Katholische Kirche, bezogen werden sollte, sondern eben als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen werden muss. Dass es als doppelt verderblich gilt, wenn es durch Vertreter der Kirche, die ja als Seelsorger der Menschen agieren, verursacht wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pädophilie alle Gruppen der menschlichen Gesellschaft ohne Ansehen der Person, der Herkunft oder der ideologischen Weltanschauung betrifft, wofür die Menschheit eine wirkliche Problemlösung anstreben und nicht mehr nur einzelne Gruppierungen oder Personen verantwortlich machen sollte.



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