Direkt zum Hauptbereich

Reminiszenz mit einem echten Katharsis-Effekt – STAR WARS Episode VII – Das Erwachen der Macht

VORSICHT! SPOILERWARNUNG! Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte diesen Artikel nicht lesen!


Die Lichtschwert-Attrappe glühte hell in der Dunkelheit. Einige wenige waren in den Kutten der Jedi erschienen, weit weniger, als ich erwartet hatte. Das Event war restlos ausverkauft, der Kinosaal bis auf den letzten Platz gefüllt, als der Film dann endlich, nach vierzig Minuten Werbung, begann: Erst das animierte Lucas-Film-Ltd-Logo, dann der wohlbekannte Satz »Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis ...«. Ganz klassisch also, nichts Neues. Gott sei Dank! »STAR WARS – EPISODE VII – Luke Skywalker ist verschwunden ...« Verschwunden? Luke verschwunden? Wohin? Was ist geschehen? 

Quelle
Fast zwei Monate waren vergangen, seit ich die Karte für dieses langersehnte Event des Jahres gekauft hatte. Am ersten Vorverkaufstag morgens um neun hatte ich die heißbegehrte Karte übers Internet gekauft. Seit über einem Jahr war ich begierig der Berichterstattung gefolgt, hatte die einzelnen Trailer mit Spannung erwartet und alles gelesen, was es zum Thema zu lesen gab. Denn STAR WARS ist mehr für mich, als irgendeine Space Opera, STAR WARS ist meine Jugend! Mit fünf Jahren war »EPISODE IV – Eine neue Hoffnung« (1977) meine erste Kinoerfahrung gewesen, die ich gemeinsam mit meinem Vater in einem kleinen Kino im Nachbarort gemacht hatte. Wie hatten mich diese Bilder so tief beeindruckt! Das kolossale Raumschiff zu Beginn, die Erscheinung von Darth Vader, die Laserschüsse, die Laserschwerter, die skurrilen Außerirdischen … Ab da hatte ich die kleinen beweglichen Figuren und die Raumschiffe gesammelt. Der Eintritt hatte damals 5 DM gekostet, die Figuren gab es für 6,95 DM. Über sechzig dieser kleinen Figuren besaß ich und besitze ich noch immer, sie ruhen in einer Kiste wohlbehütet auf dem Speicher meines Elternhauses. Ob ich sie wohl noch einmal alle hervorholen und auf den beiden Holzplatten, die ich mir extra dafür besorgt hatte, aufbauen sollte, so, wie ich es als Kind getan habe?


Unter all den Figuren und Charakteren, die das STAR WARS Universum bevölkerten und bevölkern, war es vor allem Han Solo, der corellianische Schmuggler, der es mir besonders angetan hatte. Warum kann ich heute bei besten Willen nicht mehr sagen. Diese Figur, und damit auch der Schauspieler Harrison Ford (*1942), wurde mit seiner unvergleichlichen rauh zupackenden Art, seinem schroffen Temperament und seiner Großmäuligkeit zu einer Identifikationsfigur, zu etwas ganz Besonderem. Luke Skywalker mochte ich zwar auch, aber er war unnahbarer, naiver, problembelasteter. Luke war eben der Jedi, der mit den übermenschlichen Fähigkeiten, die ihm diese rätselhafte MACHT verlieh, der mit dem unglücklichen von der dunklen Seite verführten Vater, in dem, so der feste Glaube über drei Filme hinweg, noch Gutes ist.


Trotz des vertrauten Anfangs spürte man direkt in den ersten Szenen des Films, dass sich etwas verändert hatte. Ein Sturmtruppler mit der Bezeichnung FN-2187 (John Boyega, *1992) bekommt bei der Tötung Unschuldiger Gewissensbisse. Dieser Sturmtruppler ist aber doch eigentlich ein Klon, dem solche Gefühle und Anwandlungen völlig fremd sein sollten. Doch spätestens, als dieser Sturmtruppler desertiert und den Helm abnimmt – niemals zuvor hatte ein Sturmtruppler den Helm abgenommen, denn für diese Soldaten des Imperiums hatte sich nie jemand wirklich interessiert – wird klar, dass es kein Klonkrieger sein kann. Er steht auch nicht im Dienst des Imperiums, sondern einer neuen Machtkonstellation, die sich die ERSTE ORDNUNG nennt und von einem rätselhaften Wesen namens Snoke (Andy Serkis, *1964) angeführt wird. Dieser Snoke ist scheinbar an die Stelle des Imperators Palpatine (Ian McDiarmid, *1944) getreten und gebärdet sich in ähnlicher Weise wie ein Sith-Lord. Ich erinnere mich an die Worte Yodas: »Immer zu zweit sie sind, ein Schüler und ein Meister.« Snoke hat einen Schüler namens Kylo Ren (Adam Driver, 1983), der nach eigener Aussage das vollenden will, was sein Großvater Darth Vader (David Prowse, *1935) begonnen hat – ergo kann er nur ein Sohn von Luke oder Leia (Carrie Fisher, *1956) sein.


Der Anfang des Film spielt größtenteils auf dem Planeten Jakku, wo die rätselhafte Rey (Daisy Ridley, *1992) lebt, eine junge Frau, die sich mehr schlecht als recht als Schrottsammlerin durchschlagen muss, seit sie dort von ihren Eltern abgesetzt und mit dem Versprechen, zurückzukehren, alleingelassen wurde. Jakku ist Tatooine sehr ähnlich, ebenfalls ein Wüstenplanet, auf dem aber eine Menge Spuren des alten Krieges in Form von in ihrer Form wohlbekannten Raumschiffwracks herumliegen. Sie trifft auf den Sturmtruppler FN-2187, der sich nun Finn nennt, und ab hier nimmt die klassische Heldenreise (vgl. Vogler/Campbell) ihren Lauf. Bis hierher ist das zwar alles schön und gut, aber so ein richtiges STAR WARS Feeling wie früher will bei mir nicht aufkommen, auch wenn es an an Anspielungen und teilweise wortwörtlichen Zitaten aus den alten Filmen nicht mangelt, was hier manchmal schon extrem übertrieben wird. Das beginnt erst zu kribbeln, als die beiden den Millennium Falcon, Han Solos altes Schiff finden, das dort rätselhafter Weise ungebraucht herumsteht, und mit ihm starten und wird vollends entfaltet, als dann endlich Han Solo und Chewbacca (Peter Mayhew, *1944) die Bühne betreten. Mit der knappen Bemerkung: »Chewie, wir sind zuhause!«, als die beiden ihr altes Schiff betreten, kommt auch der STAR WARS Fan endlich wieder so richtig in seinem gewohnten Kosmos an.


Die Heldenreise entwickelt sich ab da konsequent weiter, die einzelnen von Vogler und Campbell vorgegebenen Stationen lassen sich abhaken, die Archetypen allerdings haben gewechselt. Han Solo wird zum weisen Mentor (»Sie sind Han Solo?« »Der war ich mal.«), der Gestaltwandler Finn übernimmt Han Solos ehemalige Funktion, Rey tritt an Luke Stelle, da in ihr die Macht erwacht, was auch wieder die wildesten Spekulationen darüber ermöglich, wer Rey eigentlich ist und wer ihre Eltern sind. Han und Leia leben getrennt, da beider Sohn Ben sich der dunklen Seite als Kylo Ren angeschlossen hat, und jeder mit dieser Sache anders umgeht; Luke ist sogar, wegen seines scheinbaren Scheiterns in der Ausbildung einer neuen Jedi-Generation, verschwunden. Insofern ist dieser Film eine eindeutige Staffelübergabe an die jüngere Generation. Han erklärt Rey und Finn, dass die alten Geschichten über die Macht, die Jedi und die dunkle Seite wahr sind und Rey macht ihre ersten Erfahrungen mit ihren Fähigkeiten, die bis dahin verschlossen in ihr ruhten.


Im weiteren Verlauf der Handlung kommt es dann zu der Katastrophe, die einen absoluten Stimmungsumschwung unter dem Kinopublikum erzeugt. Han Solo wird bei dem Versuch, seinen Sohn wieder auf die gute Seite zu ziehen, von diesem mit dem Lichtschwert durchbohrt und fällt von einer Brücke in einen bodenlosen Abgrund. Sein Sohn dankt ihm dafür, denn durch diesen »Vatermord« hat er den endgültigen Schritt auf die dunkle Seite der Macht getan. Er hat das, was Darth Vader in Episode VI nicht konnte, getan. Er hat sich nicht im letzten Moment bekehrt, er hat eines der schlimmsten Verbrechen begangen, zu denen ein Mensch fähig sein kann, er hat seinen Vater getötet.


Im Kino ist es mucksmäuschenstill. Ich will aufstehen, will »Nein!« und »Halt! Stop!« schreien. Das können die doch nicht machen. Ich verliere die Lust, weiterzuschauen! Der Held meiner Kindheit darf nicht sterben! Nicht so! Doch es ist geschehen, ich bleibe sitzen und verfolge fassungslos und tief betrübt das weitere Geschehen. Und ich spüre dasselbe bei den anderen Kinobesuchern. Ich spüre, wie dieser ungeheure Katharsis-Effekt die Menschen ergriffen hat. Wir alle spüren, ähnlich wie Leia, die durch Hans Tod ausgelöste Erschütterung der Macht fast körperlich. Aber so schlimm es auch ist, es gibt gute Gründe, warum sein Tod an dieser Stelle dramaturgisch notwendig ist. Zum einen ist es das Schicksal seines geänderten Archetyps, Obi Wan Ben Kenobi (Sir Alec Guinness, 1914-2000) stirbt ja auch in Episode IV und Qui-Gon Jinn (Liam Neeson, *1952) in Episode I, und zum anderen ist es wohl auch dem Alter des Darstellers Harrison Ford geschuldet, dem es auf diese Weise möglich wird, seiner Rolle zu einem würdigen Abgang zu verhelfen. Ob die Fans das dem Regisseur J. J. Abrams (*1966) allerdings verzeihen werden, bleibt abzuwarten.

Kann man das noch toppen? – Man kann. Denn mit Lukes Auftauchen am Ende des Films, mit seiner schlichten Gestik in wildromantischer Kulisse, mit dem wehmütig wissenden Blick, den er Rey zuwirft, die ihm flehend das Lichtschwert entgegenhält, geht noch einmal ein unglaublicher Gefühlsruck durch die Zuschauer. Das kann man körperlich spüren. Und ja, es wird die Wartezeit auf Episode VIII unerträglich machen, ein Cliffhanger in bester alter Holywood-Manier. So ist also die Bühne bereitet, der Vorhang fällt nach einem fulminanten, emotional bewegenden ersten Akt. Die Exposition ist in epischer Breite ausgeführt und treibt die Erwartungen an die Fortsetzungen enorm in die Höhe.


Fazit: »Das Erwachen der Macht« ist episch, fantastisch, alt und gleichzeitig neu, wie das Erkennen der eigenen Vergänglichkeit, so als ob man als Erwachsener noch einmal die Möglichkeit hätte, durch die eigenen Kinderaugen zu blicken. Es ist dramatisch, traurig und erzeugt einen echten Katharsis-Effekt, wie es ihn schon seit sehr langer Zeit im Kino nicht mehr gegeben hat. Das shakespearesche Motiv des Vatermords als endgültiges Ankommen auf der dunklen Seite der Macht erweitert die Tiefen der dunklen Seite und die Beibehaltung der Erzähltechnik als der des echten Neomythos, der echten Heldenreise, garantiert dieser Episode VII einen Platz unter den neugeschaffenen Mythen unserer Zeit. Möge die Macht mit uns sein, immer!


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fundstück: Briefwechsel mit H.G. Francis (1936-2011), dem Vater der Kassettenkinder

Quelle Wie schon so einige Male zuvor, so hat auch dieses Mal wieder das Aufräumen und Durchsehen alter Unterlagen ein wirklich interessantes Dokument zu Tage gefördert, dass ich jetzt, immerhin fast elf Jahre danach, wohl ohne Bedenken der Öffentlichkeit anvertrauen darf – es handelt sich um den kurzen aber prägnanten Briefwechsel, den ich mit H. G. Francis  (1936-2011) im Jahr 2004 führen durfte. Er, der mit bürgerlichem Namen Hans Gerhard Franciskowsky lautete und den ich gerne den „Vater der Kassettenkinder“ nennen möchte, hat mit seinen Geschichten, vor allem mit seinen Hörspielen mein ganzes Leben von frühester Kindheit an begleitet, hat durch sein sehr moralisches pädagogisches Schreiben und Erzählen mein Werteverständnis ganz stark mitgeprägt. Ich kannte ihn als Autor der drei Fragezeichen , von Commander Perkins und Perry Rhodan , aber auch von so illustren Geschichten wie die der Masters Of The Universe , für deren deutsche Markteinführung er die Hintergrundstory nur anh...

Kehlmann kafkaesk – Poetik-Dozentur in Landau im Grenzgebiet von Literatur und Film

Landau liegt tief im südwestlichen Rheinland-Pfalz, und ist ein idyllisches kleines Städtchen, welches die eine Hälfte der Universität Koblenz-Landau beherbergt. Die andere Hälfte liegt weiter nördlich, eben, wie es der Name schon sagt, in Koblenz am Rhein , der Stadt, wo Rhein und Mosel am Deutschen Eck unter den Augen des gestrengen Kaisers Wilhelm I. Hochzeit halten. Und obwohl die beiden Universitäten eigentlich eine Gemeinschaft bilden, gibt es doch hin und wieder Dinge, die dann nur jeweils einer Hälfte vorbehalten bleiben; so auch hier. Der Schauplatz war die beeindruckende Jugendstil-Festhalle in Landau. Das Zentrum für Kultur und Wissendialog , kurz ZKW, in Landau hatte die diesjährige Poetik-Dozentur an den österreichisch-deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann verliehen, der wohl mit Fug und Recht als der derzeit bedeutendste deutschsprachige Gegenwartsschriftsteller bezeichnet werden darf. Sein Roman „ Die Vermessung der Welt “ (2005), in dem er den biographischen S...

Koblenz am Lake Okeechobee

Kommentar zum 5. Koblenzer Literaturpreis 2012  Die Preisträgerin des fünften Koblenzer Literaturpreises steht fest! Eigentlich sollte das ein Grund zum Gratulieren sein, wenn eine relativ kleine, im Vergleich mit den großen Metropolen Deutschlands relativ unbedeutende Stadt wie Koblenz – nunmehr zum fünften Mal – einen Literaturpreis ausschreibt und auch vergibt. Und es ist kein unbedeutender Preis, immerhin ist er der Bestdotierte des Landes. 2012 hat er einen Wert von 13.000 Euro und wird gefördert vom Theater der Stadt Koblenz und der Universität Koblenz-Landau, sowie den jeweiligen Freundeskreisen.  Hier einige Passagen aus den Ausschreibungen und von der Website des Literaturpreises: „1999 ins Leben gerufen, zeichnet der Koblenzer Literaturpreis alle drei Jahre die experimentelle Umsetzung von Themen aus dem Land an Rhein und Mosel und über die Landesgrenzen hinaus aus. Der Preis will zugleich Mut machen und finanziell fördern, neue literarische Wege zu gehen. Damit wird...