VORSICHT! SPOILERWARNUNG! Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte diesen Artikel nicht lesen!
Die Lichtschwert-Attrappe glühte hell in der Dunkelheit. Einige wenige waren in den Kutten der Jedi erschienen, weit weniger, als ich erwartet hatte. Das Event war restlos ausverkauft, der Kinosaal bis auf den letzten Platz gefüllt, als der Film dann endlich, nach vierzig Minuten Werbung, begann: Erst das animierte Lucas-Film-Ltd-Logo, dann der wohlbekannte Satz »Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis ...«. Ganz klassisch also, nichts Neues. Gott sei Dank! »STAR WARS – EPISODE VII – Luke Skywalker ist verschwunden ...« Verschwunden? Luke verschwunden? Wohin? Was ist geschehen?
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Unter all den Figuren und Charakteren, die das STAR WARS Universum bevölkerten und bevölkern, war es vor allem Han Solo, der corellianische Schmuggler, der es mir besonders angetan hatte. Warum kann ich heute bei besten Willen nicht mehr sagen. Diese Figur, und damit auch der Schauspieler Harrison Ford (*1942), wurde mit seiner unvergleichlichen rauh zupackenden Art, seinem schroffen Temperament und seiner Großmäuligkeit zu einer Identifikationsfigur, zu etwas ganz Besonderem. Luke Skywalker mochte ich zwar auch, aber er war unnahbarer, naiver, problembelasteter. Luke war eben der Jedi, der mit den übermenschlichen Fähigkeiten, die ihm diese rätselhafte MACHT verlieh, der mit dem unglücklichen von der dunklen Seite verführten Vater, in dem, so der feste Glaube über drei Filme hinweg, noch Gutes ist.
Trotz des vertrauten Anfangs spürte man direkt in den ersten Szenen des Films, dass sich etwas verändert hatte. Ein Sturmtruppler mit der Bezeichnung FN-2187 (John Boyega, *1992) bekommt bei der Tötung Unschuldiger Gewissensbisse. Dieser Sturmtruppler ist aber doch eigentlich ein Klon, dem solche Gefühle und Anwandlungen völlig fremd sein sollten. Doch spätestens, als dieser Sturmtruppler desertiert und den Helm abnimmt – niemals zuvor hatte ein Sturmtruppler den Helm abgenommen, denn für diese Soldaten des Imperiums hatte sich nie jemand wirklich interessiert – wird klar, dass es kein Klonkrieger sein kann. Er steht auch nicht im Dienst des Imperiums, sondern einer neuen Machtkonstellation, die sich die ERSTE ORDNUNG nennt und von einem rätselhaften Wesen namens Snoke (Andy Serkis, *1964) angeführt wird. Dieser Snoke ist scheinbar an die Stelle des Imperators Palpatine (Ian McDiarmid, *1944) getreten und gebärdet sich in ähnlicher Weise wie ein Sith-Lord. Ich erinnere mich an die Worte Yodas: »Immer zu zweit sie sind, ein Schüler und ein Meister.« Snoke hat einen Schüler namens Kylo Ren (Adam Driver, 1983), der nach eigener Aussage das vollenden will, was sein Großvater Darth Vader (David Prowse, *1935) begonnen hat – ergo kann er nur ein Sohn von Luke oder Leia (Carrie Fisher, *1956) sein.
Der Anfang des Film spielt größtenteils auf dem Planeten Jakku, wo die rätselhafte Rey (Daisy Ridley, *1992) lebt, eine junge Frau, die sich mehr schlecht als recht als Schrottsammlerin durchschlagen muss, seit sie dort von ihren Eltern abgesetzt und mit dem Versprechen, zurückzukehren, alleingelassen wurde. Jakku ist Tatooine sehr ähnlich, ebenfalls ein Wüstenplanet, auf dem aber eine Menge Spuren des alten Krieges in Form von in ihrer Form wohlbekannten Raumschiffwracks herumliegen. Sie trifft auf den Sturmtruppler FN-2187, der sich nun Finn nennt, und ab hier nimmt die klassische Heldenreise (vgl. Vogler/Campbell) ihren Lauf. Bis hierher ist das zwar alles schön und gut, aber so ein richtiges STAR WARS Feeling wie früher will bei mir nicht aufkommen, auch wenn es an an Anspielungen und teilweise wortwörtlichen Zitaten aus den alten Filmen nicht mangelt, was hier manchmal schon extrem übertrieben wird. Das beginnt erst zu kribbeln, als die beiden den Millennium Falcon, Han Solos altes Schiff finden, das dort rätselhafter Weise ungebraucht herumsteht, und mit ihm starten und wird vollends entfaltet, als dann endlich Han Solo und Chewbacca (Peter Mayhew, *1944) die Bühne betreten. Mit der knappen Bemerkung: »Chewie, wir sind zuhause!«, als die beiden ihr altes Schiff betreten, kommt auch der STAR WARS Fan endlich wieder so richtig in seinem gewohnten Kosmos an.
Die Heldenreise entwickelt sich ab da konsequent weiter, die einzelnen von Vogler und Campbell vorgegebenen Stationen lassen sich abhaken, die Archetypen allerdings haben gewechselt. Han Solo wird zum weisen Mentor (»Sie sind Han Solo?« »Der war ich mal.«), der Gestaltwandler Finn übernimmt Han Solos ehemalige Funktion, Rey tritt an Luke Stelle, da in ihr die Macht erwacht, was auch wieder die wildesten Spekulationen darüber ermöglich, wer Rey eigentlich ist und wer ihre Eltern sind. Han und Leia leben getrennt, da beider Sohn Ben sich der dunklen Seite als Kylo Ren angeschlossen hat, und jeder mit dieser Sache anders umgeht; Luke ist sogar, wegen seines scheinbaren Scheiterns in der Ausbildung einer neuen Jedi-Generation, verschwunden. Insofern ist dieser Film eine eindeutige Staffelübergabe an die jüngere Generation. Han erklärt Rey und Finn, dass die alten Geschichten über die Macht, die Jedi und die dunkle Seite wahr sind und Rey macht ihre ersten Erfahrungen mit ihren Fähigkeiten, die bis dahin verschlossen in ihr ruhten.
Im weiteren Verlauf der Handlung kommt es dann zu der Katastrophe, die einen absoluten Stimmungsumschwung unter dem Kinopublikum erzeugt. Han Solo wird bei dem Versuch, seinen Sohn wieder auf die gute Seite zu ziehen, von diesem mit dem Lichtschwert durchbohrt und fällt von einer Brücke in einen bodenlosen Abgrund. Sein Sohn dankt ihm dafür, denn durch diesen »Vatermord« hat er den endgültigen Schritt auf die dunkle Seite der Macht getan. Er hat das, was Darth Vader in Episode VI nicht konnte, getan. Er hat sich nicht im letzten Moment bekehrt, er hat eines der schlimmsten Verbrechen begangen, zu denen ein Mensch fähig sein kann, er hat seinen Vater getötet.
Im Kino ist es mucksmäuschenstill. Ich will aufstehen, will »Nein!« und »Halt! Stop!« schreien. Das können die doch nicht machen. Ich verliere die Lust, weiterzuschauen! Der Held meiner Kindheit darf nicht sterben! Nicht so! Doch es ist geschehen, ich bleibe sitzen und verfolge fassungslos und tief betrübt das weitere Geschehen. Und ich spüre dasselbe bei den anderen Kinobesuchern. Ich spüre, wie dieser ungeheure Katharsis-Effekt die Menschen ergriffen hat. Wir alle spüren, ähnlich wie Leia, die durch Hans Tod ausgelöste Erschütterung der Macht fast körperlich. Aber so schlimm es auch ist, es gibt gute Gründe, warum sein Tod an dieser Stelle dramaturgisch notwendig ist. Zum einen ist es das Schicksal seines geänderten Archetyps, Obi Wan Ben Kenobi (Sir Alec Guinness, 1914-2000) stirbt ja auch in Episode IV und Qui-Gon Jinn (Liam Neeson, *1952) in Episode I, und zum anderen ist es wohl auch dem Alter des Darstellers Harrison Ford geschuldet, dem es auf diese Weise möglich wird, seiner Rolle zu einem würdigen Abgang zu verhelfen. Ob die Fans das dem Regisseur J. J. Abrams (*1966) allerdings verzeihen werden, bleibt abzuwarten.
Kann man das noch toppen? – Man kann. Denn mit Lukes Auftauchen am Ende des Films, mit seiner schlichten Gestik in wildromantischer Kulisse, mit dem wehmütig wissenden Blick, den er Rey zuwirft, die ihm flehend das Lichtschwert entgegenhält, geht noch einmal ein unglaublicher Gefühlsruck durch die Zuschauer. Das kann man körperlich spüren. Und ja, es wird die Wartezeit auf Episode VIII unerträglich machen, ein Cliffhanger in bester alter Holywood-Manier. So ist also die Bühne bereitet, der Vorhang fällt nach einem fulminanten, emotional bewegenden ersten Akt. Die Exposition ist in epischer Breite ausgeführt und treibt die Erwartungen an die Fortsetzungen enorm in die Höhe.
Fazit: »Das Erwachen der Macht« ist episch, fantastisch, alt und gleichzeitig neu, wie das Erkennen der eigenen Vergänglichkeit, so als ob man als Erwachsener noch einmal die Möglichkeit hätte, durch die eigenen Kinderaugen zu blicken. Es ist dramatisch, traurig und erzeugt einen echten Katharsis-Effekt, wie es ihn schon seit sehr langer Zeit im Kino nicht mehr gegeben hat. Das shakespearesche Motiv des Vatermords als endgültiges Ankommen auf der dunklen Seite der Macht erweitert die Tiefen der dunklen Seite und die Beibehaltung der Erzähltechnik als der des echten Neomythos, der echten Heldenreise, garantiert dieser Episode VII einen Platz unter den neugeschaffenen Mythen unserer Zeit. Möge die Macht mit uns sein, immer!
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