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Reaktionäre Systemdämmerung – James Bond 007: SPECTRE

SPECTRE – Dieses Wort allein weckt Erinnerungen an eine vergangene Zeit. Als kleiner Junge – das muss so Ende der 1970er Anfang der 1980er Jahre gewesen sein – sah ich meinen ersten James-Bond-Film noch bei einem Nachbarsjungen. Der hatte bereits eines dieser tollen neumodischen Geräte namens ›Videorekorder‹ und nahm damit viele Filme aus dem Fernsehen auf. Ich weiß noch genau, dass meine Eltern darüber berieten, ob ich »James Bond 007: Liebesgrüße aus Moskau« (1963) sehen durfte, denn immerhin rangierte dieser Film damals in der Kategorie »äußerst brutal«. Trotzdem erhielt ich das Plazet und es wurde eine der einschneidendsten Filmerlebnisse meiner Kindheit.

Am Anfang gab es eine Szene, in der ein russischer Agent einen anderen mit einem Würgedraht gnadenlos umbrachte, was mich schockierte und entsetzte, aber auf der anderen Seite zog er den Würgedraht aus einer Armbanduhr! Das wiederum fand ich cool und ich wollte unbedingt auch so ein Teil … Sean Connery (*1930) spielte James Bond und vielleicht wird er gerade deswegen auch immer der beste Bond für mich sein, weil er mein erster Bond war. Ich mochte zwar Roger Moore (*1927) auch, Timothy Dalton (*1946) weniger, dafür aber tat Pierce Brosnan (1953) es mir doch wieder sehr an.

Als dann aber 2006 im 21. Film der offiziellen Bond-Filmreihe der Brite Daniel Craig (*1968) als sechster Darsteller in die Rolle des Doppelnull-Agenten schlüpfte, war sofort klar, dass man mit dieser Produktion den bisher eingeschlagenen Weg verließ. Dieser Eindruck intensivierte sich mit den darauf folgenden Produktionen »Ein Quantum Trost« (2008) und »Skyfall« (2012), der zum 50. Jubiläum der Reihe erschien. Hatte man 2006 noch auf eine literarische Vorlage gebaut, nämlich den allerersten Bond-Roman gleichen Titels des britischen Autors Ian Fleming (1908-1964) von 1953, so nutzte bereits die Produktion von 2008 nur noch den Titel der Fleming-Story »Ein Minimum an Trost (»Quantum of Solace«)« aus dem Sammelband »007 James Bond greift ein (»For Your Eyes Only«)« (1960/1965) in der Abwandlung »Ein Quantum Trost«. Der englische Originalfilmtitel blieb bei dem Originalstorytitel, allerdings hatte die Handlung nichts mehr mit der Kurzgeschichte zu tun. »Skyfall« hingegen wurde komplett als Film geschrieben, ebenso wie der aktuelle Film »SPECTRE«, um den es im Folgenden gehen soll.

»SPECTRE«! Auf diesen Namen als Bezeichnung für eine mächtige Terrororganisation war ich bereits in meinem oben erwähnten ersten Bond-Film gestoßen. Das Bild der Katze, die, groß im Bild, von zwei Händen liebkost und gestreichelt wird, während die Stimme der Person, die nicht zu sehen ist, unter anderem Mordbefehle erteilt, ist wohl legendär. An der rechten Hand prangte ein mächtiger Ring. Und obwohl Andreas Borcholte (*1970) vom SPIEGEL Daniel Craigs Darstellung des Geheimagenten mit der von Sean Connery verglich – »In manchen Szenen schafft er es sogar, jenes Virile, brutal Animalische zu verströmen, über das Sean Connery in seinen ersten Auftritten als Bond verfügte« (vgl. Artikel auf Spiegel online Kultur vom 10.11.2006) – und ihn Paul Arendt von der BBC als ein »Schwein« und damit als die Verkörperung James Bonds, wie Ian Fleming ihn in seinen Büchern beschrieben hatte (vgl. Artikel auf BBC Home vom 17.11.2006), bezeichnete, ist Craigs Bond kein »klassischer« Bond, kein Gentleman-Agent, sondern er hat etwas Unberechenbares und zutiefst Menschliches.

Craigs Bond kämpft nicht mehr im Kalten Krieg gegen Russen oder Asiaten, er kämpft gegen die Globalisierung, die totale Überwachung, wie sie George Orwell (1903-1950) schon in »1984« aus dem Jahr 1949 voraussagt, in Form der weltumspannenden Vernetzung durch das Internet. Diese schöne neue Gegenwart mit ihren gläsernen Menschen, wie sie 1932 bereits von Aldous Huxley (1894-1963) in »Schöne neue Welt (»Brave New Word«)« karikiert wurde, unterteilt sich kaum noch in verschiedene Nationen, sondern einzig und allein in unersättlichen Magnaten, die Informationen und die vielfältigen Möglichkeiten ihrer Beschaffung als neue erstrebenswerte Quelle von Reichtum und Macht ansehen. Ihr oberstes Prinzip heißt Kontrolle. In einer solchen Gegenwart scheint das Doppelnull-Programm antiquiert und überholt. Wozu eine Einrichtung wie der MI-6 in einer Zeit, da sich die Agenten der ehemals verfeindeten Nationen gegenseitig die Türklinken in die Hand geben? Der Kalte Krieg ist endgültig vorbei. So scheint es zumindest.

Von einer solchen Entwicklung muss sich die konservative Gesellschaft ja geradezu bedroht fühlen. Deswegen wird die zunächst eigentlich gute Idee einer Vernetzung aller Geheimdienste der Welt, einer Bündelung aller Kräfte zu Verbrechensbekämpfung als Brutstätte des wahrhaft teuflisch Bösen konterkariert. »Big Brother is watching you!« Immer und überall. Und der Vertreter dieser Entwicklung, der sich später dann doch als ein eingeschleuster Handlanger SPECTREs entpuppt, muss sich darüber aufklären lassen, dass die Lizenz zum Töten auch immer eine Lizenz zum Nichttöten ist, denn der Agent muss über Leben und Tod entscheiden. Die Doppelnull befähigt also ihren Inhaber zur alleinigen Entscheidung über Leben und Tod und damit ist sie eine Lizenz zum Gott spielen.

Der Weg zu SPECTRE ist für Bond überraschenderweise nicht allzu weit. Schnell findet er heraus, wer dahintersteckt. Es ist sein Stiefbruder Franz Oberhauser, der Sohn des Mannes, der Bond als Kind aufgezogen hat, und der sich jetzt Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz) nennt. Blofeld, wieder so ein Name aus den alten Tagen … Hinzu kommen bereits bekannte Motive des Genres: Ein ehemaliger Bösewicht entwickelt ein Gewissen und versucht seine Tochter, das einzige, was ihm noch von seiner Familie geblieben ist, zu retten, und opfert sich für sie. Bond bekommt es mit einem körperlich ungeheuer starken Gegner zu tun (Dave Batista), der ihn aber, obwohl er vor Muskelkraft nur so strotzt, nicht wirklich aufhalten kann, obwohl er ihm bedrohlich nahe kommt. Außerdem ist das obligatorische Bond-Girl wieder mit von der Partie (Léa Seydoux) – die Tochter des Bösewichts mit Gewissen, der sich opferte –  doch hier entwickelt sich tatsächlich so etwas wie Liebe zwischen ihr und ihm und – wohltuend – sie überlebt den Film, was man von ihren Vorgängerinnen leider nicht sagen kann. Bond verliebt? Bond ein Mensch? Ein Bruch mit Traditionen ...

Eine Prise Selbstironie findet sich auch: Die Wunderwaffen funktionieren alles andere als einwandfrei und das Finale gipfelt in einem absolut untypisches Verhalten: Bond verzichtet darauf, den mittlerweile mit einer langen Schnittnarbe über das linke Auge entstellten Blofeld – wieder eine Reminiszenz an die Zeiten des kalten Kriegs – zu erschießen. Dieser Gewaltverzicht, Diese Entscheidung zum Nichttöten, die er, trotz der flapsigen Bemerkung, er habe etwas Besseres zu tun, sehr bewusst trifft – der Lauf seiner Pistole schwebt sekundenlang über dem Kopf des besiegten Gegners, dessen Schicksal letztlich trotzdem offen bleibt – ist ein deutliches Signal des Wandels innerhalb des Franchises, keine bloße Modernisierung oder Anpassung an das moralische Empfinden der Gegenwart, sondern eine Art von reaktionärer Agenten-, ja sogar Systemdämmerung.

Quelle


Erzählt wird das Ganze in geradezu poetisch-lyrischer Bildsprache von großer Intensität, die sich vor allem in für das moderne Actionkino untypischen langen bis sehr langen Einstellungen manifestieren. Das ist ungewohnt für die heutigen Seegewohnheiten. Es fehlen schnelle Schnitte und das führt bei einer Gesamtdauer von 148 Minuten unweigerlich zu einigen als Längen empfundenen Sequenzen, in denen man das Gefühl hat, der Film stockt, hängt und kommt nicht von der Stelle. Hier bricht auch die Spannung ein. Aktion- und Gewaltszenen finden sich im Verhältnis gesehen eher weniger, ganz so, als käme es darauf auch gar nicht an, als sei das nur schmückendes Beiwerk. Der psychologische innere Konflikt ist das, was die Macher hier eindeutig mehr interessiert.


Fazit: »SPECTRE« ist eher psychologischer Kunstfilm als actionlastiges Unterhaltungskino, ein Pseudoactionfilm, bei dem einem das Popcorn im Hals stecken bleibt, in dem die vielen offenen Handlungsfäden der drei vorherigen Filme zusammengeführt und auf einen Ursprung ausgerichtet werden. Mit dieser Abkehr von seinen Ursprüngen ist SPECTRE ein Abgesang, eine reaktionäre Systemdämmerung, ein fulminanter letzter Akt. Bildgewaltig wird der Zuschauer mit der Nase darauf gestoßen, wenn gegen Ende das alte MI-6-Building gesprengt wird und in sich zusammenstürzt. Eine Ära ist zu Ende. Ob die Ära der James-Bond-Filme allerdings damit beendet ist, darf bezweifelt werden.



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