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„Was soll ich weitererzählen?
Die wahre Trauer hat keine Worte.“
(Karl May – Winnetou III)
„Dann schickt der liebe Gott den alten Leuten eine ordentliche Lungenentzündung, damit sie in Frieden nach Hause gehen können.“ An diesen Satz meines verehrten akademischen Lehrers Klaus Weber musste ich denken, als ich die Meldung von Pierre Brices Tod auf meinem Handy las. Heute morgen gegen acht Uhr zwanzig ist er an den Folgen einer Lungenentzündung (sic!), nicht an einer Kugel in die Brust, in den Armen seiner Frau, nicht in den Armen seines Blutsbruders, in einem Krankenhaus in der Nähe von Paris, nicht in jener Höhle im Hancock-Berg, verstorben, denn er war nur der Mensch, der einem fiktiven Charakter Aussehen und Stimme lieh. Er wurde sechsundachtzig Jahre alt.
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Sein Leben lang war er für viele die einzig wahre Verkörperung einer idealisierten und charismatischen Romanfigur, nämlich die Winnetous, des Häuptlings der Apatschen. Der sächsische Volksschriftsteller Karl May (1842-1912) erfand diese Figur als Symbol für die ganze indianische Nation, die bis heute in den Herzen seiner Fans – und nicht nur dort – Unsterblichkeit erlangt hat: „Winnetou tot! Diese beiden Worte genügen, um die Stimmung zu kennzeichnen, in der ich mich damals befand. Es war, als könnte ich mich von seinem Grab gar nicht trennen. In den ersten Tagen saß ich schweigend daneben und sah dem Treiben der Menschen zu, die an der neuen Niederlassung arbeiteten. Ich sage, ich sah zu, eigentlich aber sah ich nichts. Ich hörte ihre Stimmen und dennoch hörte ich nichts. Ich war geistesabwesend. Mein Zustand glich dem eines Mannes, der einen Hieb auf den Kopf bekommen hat und, nur halb betäubt, alles wie von weitem vernimmt und alles wie durch eine mattgeschliffene Glasscheibe sieht.“ (Karl May, Winnetou III, S. 427) So beschreibt Karl May den Zustand, in den seine Figur Old Shatterhand gerät, nachdem Winnetou gestorben ist. Doch einen halben Tag nach Pierre Brices Tod ist von solch einer Selbstversunkenheit nichts zu bemerken. Die Medien überschlagen sich mit Meldungen und Berichterstattungen. Dümmliche Schlagzeilen wie „Möge er in den ewigen Jagdgründen ruhen!“ lösen einander ab und die ersten Lebensdarstellungen werden in aller Eile gepostet und überhastet veröffentlicht.
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Ich werde hier ganz bewusst nicht erwähnen, was Pierre Brice in seinem Leben alles geleistet hat. Ich werde nicht erwähnen, dass er 1992 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse für sein Lebenswerk erhalten hat, ich werde aber diesem Mann, diesem Künstler, diesem Menschen hinter der Rolle Respekt zollen und mich in Dankbarkeit für das, was er mir ganz persönlich war, vor dem Toten verneigen. Ich akzeptiere seinen Heimgang als das Natürlichste der Welt und werde nicht darüber spekulieren, was er noch alles hätte im Leben erreichen können: „Mir blieb die traurige Pflicht, nach Süden zu reiten, um den Apatschen zu melden, dass ihr oberster und berühmtester Anführer nicht mehr am Leben sei. Das war ein Ritt, an den ich noch heut am liebsten gar nicht denken mag. Winnetous Tod hatte mich so tief ins Leben getroffen, dass ich ein ganz anderer geworden war. Sonst immer heiter und voller Vertrauen auf mich selbst, brachte ich es jetzt nicht zum leisesten Lächeln, und aller Lebensmut hatte mich verlassen.“ (Karl May, To-Kei-Chun, S. 7) Durch Pierre Brice – oder korrekter durch die Rolle, die er sein Leben lang spielte und die ihm Fluch und Segen zugleich war, denn er ist den Häuptling der Apatschen nie mehr losgeworden, bin auch ich ein anderer geworden. Doch hat mich mein Lebensmut nicht verlassen, im Gegenteil.
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Ich sah Pierre Brice zum ersten Mal in den siebziger Jahren. Meine erste Begegnung mit ihm war der Karl-May-Film „Der Schatz im Silbersee“ (1962) und danach, schenkt man den Erzählungen meiner Eltern Glauben, war es um mich geschehen, das Karl-May-Fieber hatte mich gepackt. Ich heulte genauso wie Millionen anderer, als Winnetou in „Winnetou 3. Teil“ (1965) seinen trivialisiert verklärten, ungeheuer – aus heutiger Sicht – schmalzigen Tod starb, denn der wahre Tod ist ganz anders.
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Dann sah ich ihn 1979 zum ersten Mal in Elspe bei den Karl-May-Festspielen in „Winnetou I“ und war total überrascht, dass Winnetou mit starkem französischen Akzent sprach und gar nicht so klang, wie in den Filmen, doch sein Erscheinen auf seinem Rappen, den ich damals tatsächlich für Iltschi hielt, entschädigte mich vollauf. 1982 sah ich ihn dann noch einmal in Elspe im „Schatz im Silbersee“, zum letzten Mal für eine lange Zeit.
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Ebenfalls Anfang der Achtziger erlebte ich ihn als „Mein Freund Winnetou“ in einer vierzehnteiligen Fernsehproduktion des WWF, Köln, die 1979/1980 entstanden war. Die deutsche Synchronisierung für Brice übernahm der geniale Christian Brückner (*1943). Wieder verfiel ich der Winnetou-Manie, wieder erlebte ich Pierre Brice, doch dieses Mal war Winnetou verletzlicher, nicht mehr idealisiert und ich überlegte lange, ob Karl May das auch geschrieben hatte. Wie sich herausstellte natürlich nicht.
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Als ich älter wurde und den echten Karl May zu lesen begann, distanzierte ich mich von den Filmen und von den Festspielen und damit auch von Pierre Brice. Nachdem ich May im Original – wie ich glaubte – gelesen hatte, machten mich die Plots der Filme und Bühnenstücke regelrecht wütend, da sie so gar nichts mit dem echten Winnetou zu tun hatten. Die Namen fand ich wieder, teilweise zwar grausam entstellt (Apanatschka wurde zu Apanatschi), der ganze Rest aber war in meinen Augen nur wertloser Müll.
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In den späten Achtzigern kam ich irgendwie an die Autogrammadresse, von der ich damals annahm, es sei seine richtige Adresse, und schrieb ihm einen langen Brief, in dem ich ihm mitteilte, was er alles für mich, den jungen Burschen, war. Wie enttäuscht war ich, als ich einen dicken Umschlag mit Autogrammkarten erhielt, doch die erhofften persönlichen Zeilen blieben aus. Erst Jahre später, als ich gelernt hatte, zwischen Romanfigur und realem Menschen zu unterscheiden, als ich selbst Schauspieler kennen lernte und verstand, dass er beim besten Willen nicht jedem seiner Fans persönlich schreiben konnte, machte ich meinen Frieden mit ihm. Meinen Frieden mit den Karl-May-Filmen und den Festspielen habe ich bis heute noch nicht so ganz machen können, denn da habe ich auch heute noch meine Bedenken.
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Persönlich begegnen durfte ich ihm nie. Auf der Bühne sah ich ihn einige Male und im Film hundertfach. Dennoch aber möchte ich dem Idol meiner Kindertage, demjenigen, der mein Gerechtigkeitsempfinden wie kein anderer prägte, der meiner Karl-May-Verehrung ein Gesicht gab, kondolieren und ihm wünschen, dass er jetzt an einem besseren Platz ist, wo er – vielleicht – mit der Figur, die sein Leben bestimmte, verschmelzen wird. Ruhe in Frieden, Pierre Brice!
„Je mehr ich aber zu erzählen habe, desto herrlicher und strahlender steigt das Bild dessen vor meinen Augen auf, den ich als den Vertreter aller Indianer gezeichnet und lieb gewonnen habe, desto mehr nimmt er, dem ich hoch oben am Ufer des Metsurflusses ein kaltes Grab bereiten musste, warmes Leben und blühende Gestalt an, er, der Edelste von allen:
WINNETOU,
der Häuptling der Apatschen!“
(Karl May, Winnetou III)
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