«„Sei mir gegrüßt, Dimisch esch Schâm, du Blumenreiche, du Königin der Düfte, du Augenlicht des Weltantlitzes, du Jungfrau der Feigen, du Spenderin aller Freuden und du Feindin allen Kummers!“ So begrüßt der Wanderer Damaskus, wenn er oben am Kubbet en Naßr steht, dessen Moschee sich wie eine weit in das Land hinaus schauende Warte auf dem Dschebel Kaßjûn es Salehije erhebt.» (aus: Von Bagdad nach Stambul, Reiseerzählung von Karl May, in: Karl Mays Gesammelte Werke Band 3: Von Bagdad nach Stambul, 2000. Auflage, Bamberg 2003, S. 301)
Mit Worten, die so ähnlich wie diese klingen, betritt der verehrte Hakawati am 23. April 2015 abends die Bühne im Forum St. Peter in Montabaur. Er lächelt. Seine runden Brillengläsern spiegeln das Deckenlicht. In warmen Worten begrüßt er das Auditorium. Er gibt sich charmant, weltgewandt, sein leichter Akzent ist drollig, man hat ihn sofort gern. Er ist gleich im ersten Augenblick sympathisch. Grau meliertes, leicht gekraustes kurzes Haar umrahmt ein Gesicht, das einem weitgereisten, erfahrenen Mann gehört, was der energische graue Oberlippenbart noch zu unterstreichen scheint. Seine Kleidung besteht aus einer schlichten dunkle Hose und einem graugestreiften Hemd, worüber er eine Weste mit orientalisch anmutender Ornamentik trägt.
Angenehm wohltuend ist auch, dass er steht, hinter einem Mikro zwar, aber er sitzt eben nicht und liest aus einem seiner Bücher vor. Denn das hat er nicht nötig. Er beherrscht nämlich noch die alte Kunst des mündlichen Erzählens. Er kann mit seinen Worten fesseln, begeistern, erheitern oder zum Weinen bringen. Das Publikum ist hingerissen, ausgelassen, amüsiert, interessiert – kurz: Der Katharsis-Effekt hat seine volle Wirkung entfaltet.
Und das ist die wahre, wirkliche Kunst des syrischen-deutschen Schriftstellers und promovierten Chemikers Rafik Schami (*1946; => Homepage) (رفيق شامي, Rafīq Šāmī), der eigentlich mit bürgerlichem Namen Suheil Fadél (سهيل فاضل, Suheil Fāḍel) heißt und einer christlich-aramäischen Minderheit in Damaskus entstammt. Allein schon sein Pseudonym „Rafik Schami“ ist Programm, „Freund aus Damaskus“ bedeutet es frei übersetzt. Als „Freund“ erweist er sich und zwar als Freund aller Menschen, sowohl in seinem Werk als auch in dem, was er sagt, und Damaszener ist er mit Leib und Seele.
Damaskus (دمشق, Dimašq) ist auch sein Thema an diesem Abend. Und deshalb hätten die einleitenden Worte, die sein deutscher Kollege Karl May (1842-1912) über „seine“ Stadt, über sein „Damaskus“ geschrieben hat, auch von ihm stammen können, Karl May, den er mit den berühmt gewordenen Worten charakterisiert hat: „Bei Allah, dieser Karl Ben May hat den Orient im Hirn und Herzen mehr verstanden als ein Heer heutiger Journalisten, Orientalisten und ähnliche Idiotisten.“ (aus: Der Rabe Nr. 31, Zürich 1991) Schami nimmt seine Zuhörer an diesem Abend, der als Benefizveranstaltung zugunsten syrischer Flüchtlinge von der Buchhandlung „Erlesenes“ und der Katholischen Pfarrei St. Peter in Ketten in Montabaur im Rahmen der Westerwälder Literaturtage 2015 unter der Thematik „Helden und Legenden“ ausgerichtet wurde, auf einen Spaziergang durch Damaskus mit.
Doch vorher will der seit 1985 ununterbrochen mit renommierten Preisen ausgezeichnete Schriftsteller auch etwas Trauriges, Kritisches sagen, das sei ihm erlaubt. Und er spricht in bewegenden Worten über den Krieg, jenes schlimmste aller Verbrechen gegen die Gesetze des Geistes. Er erklärt die Kinder zu den größten Verlierern des Krieges, die Kinder, denen er sich verschrieben hat. 2012 hat er deswegen extra den Verein Schams e.V. zur Förderung und Unterstützung syrischer Kinder und Jugendlicher gegründet. Denn die Zerstörung, so sagt er, geht nicht nur in die Steine, die Felsen oder den Boden, sie geht in die Seelen. Und es sei dabei völlig gleich, welcher Religion die Kinder angehörten. Sie säßen alle nebeneinander, mit Kopftuch, ohne Kopftuch, und äßen, tränken und spielten miteinander. Welch ein Bild des Völkerfriedens! Karl May hätte hier seine wahre Freude gehabt und mit ihm alle Menschen dieser Welt, die in Frieden miteinander leben wollen.
Ausgehend von diesen Überlegungen versucht Schami nun, Verständnis für die arabische Welt und das arabische Denken zu vermitteln. „Wenn du die Araber verstehen willst, vergiss die Wüste nicht“, erklärt er und mir drängt sich hierbei unwillkürlich die Aussage „Die Wüste ist der Garten Allahs“ auf, die ich in einem alten Film aus dem Jahr 1936 einmal aufgeschnappt habe. „Der Garten Allahs“ ist ein Film mit Marlene Dietrich (1901-1992) und Charles Boyer (1899-1978) unter der Regie von Richard Boleslawski (1889-1937), der damit den gleichnamigen Roman von Robert Smythe Hichens (1864-1950) umsetzt. Denn die Wüste ist das bestimmende Element für das Leben und die Kultur der Araber, wie schon die klassische Aussage „Merhaba, die Wüste gehört allen“ deutlich macht. „Beim Erstaunen der Augen bleibt der Mund klein. Beim Araber ist es anders.“ Der Araber versteht es wie kein anderer, über das kaum Vorhandene, über Kleinigkeiten in einer derart blumigen und ausdrucksstarken Sprache zu reden, dass alles viel größer und besser erscheint, als es tatsächlich ist.
Und dann betreten die Zuhörer mit Schami endlich die Hauptstadt Syriens durch das Osttor, eines der sieben Tore von Damaskus, das dem christlichen Viertel am nächsten liegt, durchqueren mit ihm die engen Straßen und Gässchen, betreten Kirchen, schlendern über den Markt, erfahren etwas über Schulen, in die Kinder – außer in Deutschland – gerne gehen, erfahren viele Anekoten über den kleinen Rafik Schami, wie er wohnte und lebte, welches Verhältnis er zu seinen Eltern und Freunden hatte und welche große Bedeutung Maria, die Mutter Gottes, für die aramäischen Christen hat. Denn Jesus von Nazaret ist zwar der Begründer des Christentums, aber Maria ist seine Mutter und vieles regelt man eher mit der Mutter als mit dem Sohn. Von Mutter zu Mutter spricht es sich eben angenehmer.
Der Hakawati macht seinem Titel als Erzähler alle Ehre. Er entwirft ein Bild des Orients, das die romantisierten Darstellungen von 1001 Nacht und Karl Mays auf humorvolle Art und Weise mit der heutigen Wirklichkeit – und in gewissem Sinne natürlich auch mit der damaligen Wirklichkeit – verbindet und aussöhnt. Man möchte ihm noch Stunden zuhören, und so vergeht die Zeit kurzweilig und mit viel Gelächter und guter Laune wie im Flug.
Was bleibt, ist, Danke zu sagen. Danke an Rafik Schami für diesen zauberhaften Abend, diese Einblicke in Kultur und Gesellschaft eines uns gar nicht so unähnlichen Landes, dieses Plädoyer für Frieden und Versöhnung in der Welt, für die Kinder, denen wir eine sichere Zukunft und ein friedvolles Leben ermöglichen müssen, damit wir uns selbst nicht abschaffen. Danke, Rafik Schami! Und wer kann, der schließe all das, was er an diesem Abend mitnehmen konnte, mit in seine Gebete ein.
Danke für diesen schönen Bericht, schade dass ich nicht daran teilnehmen konnte...
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