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Kingsman: The Secret Service – Die Mär von den neoklassizistischen Rittern der Neuzeit

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König Artus (Pendragon), Sir Lancelot vom See, Sir Galahad – der Klang dieser Namen hat auch heute noch – wenn auch nur bei denjenigen, die sie noch kennen – eine ganz bestimmte Wirkung. Vor dem geistigen Auge tummeln sich edle Ritter in strahlender Rüstung und von dunklen Finsterlingen bedrohte jungfräuliche Burgfräuleins ganz in der Art, wie Richard Thorpe (1896-1991) uns das in den 1950er Jahren bereits gezeigt hat. Mit Filmen wie Ivanhoe – Der schwarze Ritter (Ivanhoe, 1952) und Die Ritter der Tafelrunde (Knights Of The Round Table, 1953) hat er unser Bild vom mittelalterlichen Rittertum und dem Minnesang verklärt. Die wahren Rittertugenden (staete, minne, hoher muet, mâze, triuwe) und das Tjostieren sind Botschaften aus einer längst vergangenen Zeit, die man, will man sie vermitteln, auf eine kurze knackige Formel bringen muss, die jeder versteht: „Manieren machen uns zu Menschen!“


Matthew Vaughns (*1971) neuer Film Kingsman: The Secret Service nach dem Comic The Secret Service“ von Mark Millar und Dave Gibbons wagt sich nun an eine Modernisierung der Artusepik von ganz besonderer Art. Nach wie vor steht die Tafelrunde in England. Sie ist nur nicht mehr ganz so rund, sondern eher oval zu nennen. Dennoch wirkt der Tisch antiquiert. Er ist aus Holz, wie das gesamte Ambiente des Raumes, in dem er steht. Hat sich der runde Tisch also doch selbst überlebt? Ein Relikt einer längst vergangenen und wohl auch vergessenen Zeit? Ein Liebhaberstück alter Männer und ein Prestigeobjekt für exzentrische Sammler? 


Darum herum gruppiert Arthur (Michael Caine), ein typisch englischer Aristokrat wie er im Buche steht und treuhänderischer Verwalter eines unter dubiosen Umständen entstandenen Vermögens das keiner vermisst, eine Gruppe von Eliteagenten (Kingsmen  des Königs Männer?) eines weltweit operierenden regierungsunabhängigen Geheimdienstes, der schlicht und ergreifend „The Secret Service“ heißt und immer dann in Erscheinung tritt, wenn es irgendwo auf der Welt richtig kracht. Die Kingsmen tragen alle Decknamen der Ritter der Tafelrunde. Sie sind echte, weltgewandte Gentleman von typisch englischer Manier. Der englische Gentleman wird somit zur modernen Erscheinungsform des klassisch mittelalterlichen Ritters und Minnesängers. Aber auch Arthur, soviel kann hier schon verraten werden, ist korrumpierbar. Leider. Aber auch der Artus der Sage war kein Mann, der über den weltlichen Dingen stand und frei von seinen Gefühlen, Bedürfnissen und Sehnsüchten war.


Harry Hart (Colin Firth) alias Galahad verliert bei einem dieser Einsätze im Nahen Osten durch einen Fehler, den er sich nicht verzeihen kann, seinen Kollegen Lancelot, der ihm durch seinen Opfertod das Leben rettet. Um seine Schuld wieder gutzumachen, begleitet er fortan den Lebensweg von dessen Frau und Sohn über die nächsten zirka zwanzig Jahre, nur um den Sohn mit Namen Gary „Eggsy“ Unwin (Taron Egerton) für die Kingsmen zu rekrutieren. Er soll die Stelle seines Vaters annehmen. Galahad sucht also, wie in der Sage, nach dem Heiligen Gral. Doch Eggsy, seine Mutter und seine kleine Schwester leben in Armut und in Abhängigkeit von einem Gangsterboss, von dem sie sich aus eigener Kraft scheinbar nicht lösen können. Ein sehr ernster Beginn und ein problemorientierter Hintergrund. Vielversprechend.


Eggsy wird auch erfolgreich rekrutiert und muss „das gefährlichste Bewerbungsverfahren der Welt“ durchlaufen. Alle Teilnehmer sind auf persönliche Empfehlung eines Secret-Service-Agenten dazu eingeladen worden. Kein geringerer als Merlin (Mark Strong), dem Sagenkenner ebenfalls bestens bekannt als der heidnische Zauberer und Berater Artus', schränkt mit Prüfungen, in denen scheinbar auch das Leben von Teilnehmern und Hunden nicht geschont wird, den Kreis der Auserwählten immer mehr ein. Merlin ist auch hier ein Tausendsassa, jemand der scheinbar alle technischen Finessen beherrscht, mit allen Arten von Waffen umgehen und sogar ein Flugzeug fliegen kann.


Während dieser harten Zeit der nicht enden wollenden Tests bleibt aber die Welt wieder einmal nicht verschont von den größenwahnsinnigen Ideen des Milliardärs Valentine (herrlich spleenig und mit Sprachfehler dargestellt von Samuel L. Jackson, dem diese Rolle sichtlich Spaß bereitet), der die aberwitzige Idee verfolgt, den Planeten Erde von der Krankheit Mensch – eine Behauptung, die wir schon von Agent Smith in Matrix zu hören bekommen haben, und die wir sogar schon bei Herder und Goethe finden (ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft) – zu heilen, indem er in einem globalen Komplott das dem Menschen innewohnende Aggressionspotential exponentiell steigert, so dass die Menschen sich unkontrolliert gegenseitig auslöschen. Unterstützt wird er darin von seiner Assistentin Gazelle (Sofia Boutella), einer exotischen und kampferprobten Amazone, die statt Füßen biegsame Metallprothesen trägt, die sie auch als messerscharfe, tödliche Klingen einsetzt. Eine ganz klare Anspielung auf eine Cyborg, allerdings bleibt der Film die Erklärung für diese merkwürdige und nicht klar nachvollziehbare Figur schuldig.


Und hier beginnt der Film zu kippen. Begann er ernsthaft, fast schon ein wenig düster, entwickelt er sich nun zu einer aberwitzigen, spritzigen und sehr kurzweiligen Agentenfilmpersiflage à la James Bond und Co., einer Komödie, die vom alten Schlag und doch modern sein will, die genau dieses Genre und damit sich selbst permanent auf die Schippe nimmt und geradezu wahnwitzig überlädt und überhöht. Immer wieder gibt es in den Dialogen Verweise, Reminiszenzen und Anspielungen auf das Genre die sich bis zu einer fast schon orgiastisch anmutenden Sequenz steigert, in der allen möglichen Leuten die Köpfe platzen und zwar in Form von kleinen Feuerwerken … – und wir sitzen im Kino und lachen uns tot über eine Massenvernichtung!


Ja, ab hier wird es nicht nur makaber, es wird rabenschwarz. Typisch englisch eben! Die Menschen werden nämlich durch einen Chip getötet, der in ihren Nacken implantiert wurde und der die Gehirnfunktionen überlastet. Außerdem löst Valentine die weltweite Selbstvernichtung durch Sim-Karten aus, die er vorher unter den Versprechungen „freies Telefonieren für alle“ und „freies Internet für alle“ kostenlos verteilt hat. Er tut dies auf einer Veranstaltung, die verdächtig an die Keynotes und Special Events von Apple, Samsung und Co. erinnert.

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Es wird jedes Klischee bedient, was bedient werden kann. Der Mentor Hart wird von Valentine, der kein Blut sehen kann, erschossen, sein Protegé Eggsy fällt in der letzten Prüfung, in der er nur noch mit seiner Mitstreiterin Roxy (Sophie Cookson) übrig geblieben ist, durch, kehrt aber nach seines Mentors Tod geläutert wieder zurück, der Bösewicht wird in letzter Minute gestellt und getötet und die Welt wird vor dem drohenden Untergang durch ihre eigenen Bewohner gerettet. Ende gut, alles gut?

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Keine Frage, der Film ist extrem kurzweilig und unterhaltsam. Ich habe lange nicht mehr so gelacht und einen Film so gerne geschaut, wie diesen. Aber dennoch, ein doppelter Boden bleibt, ein fader Beigeschmack, denn irgendwie hat man danach das Gefühl, etwas Wesentliches übersehen zu haben. Etwas, was im Subtext dieses Films verborgen ist, etwas, was – offen ausgesprochen – absolut nichts Gutes oder Erstrebenswertes beschreibt. 


Der Film versucht, das alte klassische Genre des Agententhrillers wieder mit neuem Schwung zu beleben. Er ist also neoklassizistisch. Dazu soll ein Crossover mit der Artusepik, dem Rittertum und dem Steampunk verhelfen. Ob das gelungen ist, kann und will ich hier nicht entscheiden müssen. Doch bleibt am Schluss des Films, nachdem Eggsy den Platz seines Mentors eingenommen hat, nur die eingangs erwähnte moralinsaure Erkenntnis hängen: „Manieren machen uns zu Menschen!“ und Manieren haben nunmal nur echte Gentleman, echte Ritter der Neuzeit. Oder? –


Ach, eine unbedeutende und doch so wunderbare Kleinigkeit muss ich einfach noch erwähnen: Am Anfang taucht ein herrlich fahriger und zerstreuter Professor namens James Arnold auf, der den Film auch nicht überlebt. Dargestellt wird er von Mark Hamill! Nein, wie habe ich mich gefreut, den Helden meiner Jugend wiederzusehen! In einer modernen Version der Ritter der Tafelrunde spiel ein Jedi-Ritter mit! Luke Skywalker ist zurück auf dem Big Screen! Das war mein erster Gedanke und es war eine Freude, ihn in dieser Rolle wieder einmal spielen zu sehen. Große Ereignisse werfen also ihre Schatten voraus: Long ago in a galaxy, far, far away ... oder um es für die Kingsmen zu sagen: Es war ein mal vor langer Zeit in England, an König Artus' Hof, eine Gruppe edler Jedi – ähm, nein, edler Ritter ...


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