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Eastwoods American Sniper: Indoktrination des Hassens und Konditionierung durch Patriotismus

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„Sometime they'll give a war and nobody will come“ – An diesen Vers aus dem Gedicht „The People, Yes“ von Carl Sandberg (1878-1967), dem US-amerikanischen Autor, Journalist, Historiker und Pulitzer-Preisträger, muss ich permanent denken, seit ich das Kino verlassen habe. Während des Films American Sniper des US-amerikanischen Filmschauspielers, Regisseurs, Produzenten, Komponisten und Politikers Clint Eastwood (*1930) habe ich noch gedacht, dass ich darüber wahrscheinlich nicht schreiben werde, weil ich dazu eigentlich nichts zu sagen habe. Eigentlich. Dann jedoch bin ich mit meinem Freund und Kollegen Paul (Anm.: Der Name wurde von mir geändert), dem zuliebe ich mir den Film angeschaut habe, auf dem Rückweg zu unseren Fahrzeugen in eine Diskussion über die alte Frage geraten, ob Soldaten Mörder sind. Und die unterschiedlichen Standpunkte zwingen mich jetzt geradezu zu diesem Text.

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Paul, Jahrgang 1974, ist Hauptfeldwebel a. D. und war von 1996 bis 2006 in verschiedenen Auslandseinsätzen. 2006 war er in Afghanistan. Also zirka drei Jahre nach der Zeit, in der die Einsätze im Film liegen. Er unterrichtet, genauso wie ich auch, u. a. das Fach Katholische Religionslehre. Paul, der mir schon vor längerem von den Folgen seiner Einsätze sehr eindringlich erzählt hat – unter anderen meldete sich nach seiner Rückkehr ständig sein Unterbewusstsein, wenn er zum Beispiel eine Wiese betrat: „Vorsicht! Mine!“ – blieb nach dem Abspann betroffen in seinem Kinosessel sitzen. Das dargestellte hatte ihn sichtlich mitgenommen.

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Für alle, die den Film nicht gesehen haben, hier kurz der Inhalt: Chris Kyle (Bradley Cooper) wächst bei einem sehr strengen Vater in Texas auf, dessen Maxime die Erziehung hin zum Beschützen durch Gewaltanwendung ist. Bereits in jungen Jahren geht er mit dem Vater jagen, der seinen präzisen Schuss, mit dem er einen Hirsch tötet, als „besondere Gabe“ darstellt. Hier zeigt sich schon eine frühe Konditionierung hin zur Gewaltanwendung.
Später verdingt er sich als Rodeo-Cowboy bis er seine Berufung in der Army bei den United States Navy SEALs findet, wo er zum Scharfschützen (engl. sniper) ausgebildet wird, dessen Aufgabe es im Krieg ist, von einer höher gelegenen Stellung aus relativer Sicherheit – dank der Lufthoheit der Amerikaner – heraus die Bodentruppen zu sichern und etwaige Angreifer auszuschalten. Während der harten Ausbildung zeigt sich erneut seine „besondere Gabe“.
In vier Einsätzen im Irakkrieg 2003 muss er diese Fähigkeiten nun unter Beweis stellen. Mit seinem ersten Abschuss tötet er ein irakisches Kind, dass von seiner Mutter eine Granate bekommen hat, die es auf die amerikanischen Soldaten werfen will. Die Mutter hebt die Granate bei ihrem toten Jungen auf und will sie ebenfalls werfen, wird aber ebenso von Kyle erschossen. Dies ist eine der eindrücklichsten Szenen des Films.
Das Töten eines Kindes steckt Kyle scheinbar weg, als wenn es nichts wäre. Er tötet seine aufkommenden Zweifel mit einem glühenden Patriotismus für sein Land ab, das er für das beste der Welt hält. Kyle avanciert schnell zur Legende, zum tödlichsten Scharfschützen der US-Army, dem etwas über 160 Abschüsse angerechnet werden. Von Kollegen und Vorgesetzen wird er gleichermaßen geachtet wie verehrt.
Noch vor seinem ersten Einsatz hat er seine Frau Taya Renae (Sienna Miller) in einer Kneipe kennen und lieben gelernt. Er heiratet sie und zieht nach drei Tagen Flitterwochen in seinen ersten Einsatz. Doch der Krieg verändert ihn. Nach und nach entfremdet er sich seiner Frau und seinen beiden Kindern, die sie ihm geboren hat. Es sind nach seinen eigenen Angaben nicht die Tötungen, sondern die Tatsache, dass er so viele seiner Kameraden durch seine Schüsse nicht hat retten können, denn er ist durch und durch ein Patriot.
Nach dem vierten Einsatz kommt er als Veteran zurück, begibt sich in Behandlung und schafft es tatsächlich, wieder ein einigermaßen normales Leben zu führen und ein harmonisches Familienleben aufzubauen. Er beginnt, sich um Veteranen zu kümmern und mit ihnen therapeutisch zu arbeiten. Von einem dieser Veteranen wird er schließlich erschossen. Seine Beerdigung mutiert zu einem Fanal frenetischer Heldenverehrung und exorbitantem Patriotismus.

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Paul will reden. Er muss den Film irgendwie aufarbeiten, das heißt, eigentlich will er nur die zurückkehrende Erinnerung an seine eigene Zeit im Einsatz verarbeiten und seine eigene Bereitschaft, als Soldat im Einsatz zu töten, irgendwie rechtfertigen, was er – zumindest vor mir – nicht muss oder nötig hat. Der Film ist die Umsetzung der Autobiographie von Chris Kyle (1974-2013). Ein Werk das nicht unumstritten ist, vor allem wegen seiner vielen sachlich falschen Aussagen.

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Wir sprechen noch lange vor dem Kino miteinander. Ich selbst kann mit dem typisch amerikanischen Patriotismus nichts anfangen. Ich hatte ihn zum ersten Mal am eigenen Leib 2012 erfahren, als ich im Rahmen meiner Nordamerikareise die National Ceremony am Mount Rushmore mitmachte. Ein Auszug aus meinem damaligen Bericht, soll hier meine Einstellung dazu noch einmal verdeutlichen, frei nach dem Motto, was ich schon einmal gesagt habe, kann ich getrost gerne immer wieder wiederholen:

„Den Abschluss des Tages bildete noch einmal die gewaltige Kulisse des Mount Rushmore. Dort erlebten wir eine sogenannte „Ceremony“, also eine feierliche Zeremonie, die etwa eine halbe Stunde dauerte und sich auf der Bühne des Amphitheaters zu Füßen des Mount Rushmore abspielte. Es war bereits dunkel, das rappelvolle Amphitheater in orangefarbenes Licht getaucht. Eine Frau im Dress der Mountain-Rangers führte kurz in das Programm des Abends ein, der Fahneneid wurde von allen Anwesenden gesprochen und ein Lied über die Freiheit des amerikanischen Volkes gesungen. Dann wurde ein Film über die Entstehung und den Hintergrund des Mount Rushmore gezeigt. Gegen Ende des Films wurden die Köpfe des Mount Rushmore in schwindelnder Höhe darüber illuminiert. Im Anschluss wurden Kriegsveteranen und Mitglieder des Militärs aus allen Sparten unter diesen beleuchtenden Köpfen auf die Bühne geholt, die amerikanische Flagge wurde eingeholt und auf die charakteristische Art und Weise in Dreieckform zusammengelegt, wie man es aus Filmen kennt, in denen militärische Feierlichkeiten gezeigt werden. Abschließend konnten dann die Veteranen vortreten und – natürlich freiwillig – mit auf die Flagge gelegter Hand ihren Namen, ihren militärischen Rang, ihre Einheit und ihr Haupteinsatzgebiet nennen. Dies geschah in einer für einen Europäer sehr schwülstig und tränenrührig anmutenden Weise, doch das gesamte Publikum applaudierte stehend ihren Kriegshelden. Ich möchte dazu nur noch anmerken, dass ich eine derartige Demonstration amerikanischen Nationalismus mit sehr gemischten Gefühlen sehe. (…) dieser Nationalstolz ist etwas, was ich persönlich nie wirklich nachvollziehen können werde. Ich brauche nur an das Schicksal der Indianer zu erinnern, der hier „Natives“ genannten Menschen. Ich erinnere an Vietnam und an viele andere geschichtliche Ereignisse, auf die die Amerikaner ebenso wenig stolz sein können, wie die Deutschen auf die Gräueltaten des Nazi-Regimes, die Franzosen auf die napoleonischen Kriege oder die Russen auf die „Säuberungen“ unter Stalin. Wer aber wirft diesen genannten Nationen ihre Fehler in derselben Art und Weise vor, wie man uns Deutschen Hitler und die Zeit des Nationalsozialismus vorwirft? – Ich hake es für mich als interessante Erfahrung ab, die mich so schnell nicht loslassen wird, sowohl auf die eine als auch auf die andere Art und Weise.“ (vgl. Quelle)
Was den Irakkrieg betrifft, der die Grundlage der im Film gezeichneten Geschehnisse bildet, so muss eindeutig auch hier festgestellt werden, dass das Eingreifen der Amerikaner und des Vereinigten Königreichs eine völkerrechtswidrige Invasion im Irak war. Infolgedessen sind also alle militärischen Handlungen unter einem anderen Licht zu sehen und zu bewerten. Auch die Abschüsse durch die Sniper, die man vor diesem Hintergrund als Mord deklarieren muss. Doch wann ist es Mord, wann ist es eine geplante Tötung?

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Der Irakkrieg und die Besetzung des Iraks (2003-2011) hat diese Region nachhaltig destabilisiert. Paul kann mir auch hierin nicht völlig folgen. Er hat Verständnis für den amerikanischen Patriotismus. Ich nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, was an einer solchen Einstellung richtig sein soll. Kurz vor Ende des Films geht Kyle mit seinem Sohn auf die Jagd. Ebenso hat es zu Beginn des Films ja sein Vater mit ihm gemacht. Dabei sagt er lächelnd zu seinem Sohn, das Gewehr lässig über die Schulter gelegt: „Ein Herz zum Stehen zu bringen, ist etwas ganz Besonderes. Deshalb machen wir es bei deinem ersten Mal auch gemeinsam.“ Eine tolle Botschaft an ein Kind, nicht wahr?

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Und so stehen Paul und ich auf dem Parkplatz vor dem Kino und führen diese theologisch-philosophische Diskussion über das Töten im Krieg und ob es sich vom Töten in Friedenszeiten unterscheidet. Paul ist ganz klar der Meinung, dass es sich unterscheidet. Ein Sniper, ein Heckenschütze, tötet ja mit dem Vorsatz, seine eigenen Leute zu schützen und abzusichern. Dennoch ist es in meinen Augen Mord. Paul sagt, es ist eine gezielte Tötung. Wir reden uns heiß. Vielleicht liegt die Wahrheit, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Einig sind wir uns darin, dass eigentlich kein Mensch das Recht hat, das Leben eines anderen Menschen auszulöschen. Wenn er in Notwehr handelt, dann bleibt eine solche Tat nach unseren Gesetzen straffrei. Aber was ist mit den Spätfolgen? Wie gehen Soldaten nach dem Krieg damit um? Mit dem Wissen, Menschen getötet zu haben? Wie verarbeiten sie das? Kommen Sie damit klar? Hilft Ihnen die Indoktrination des Hassens, der sie sich während der Ausbildung unterzogen haben, oder die Konditionierung durch den Patriotismus dabei, besser damit klarzukommen?


Wenn man sich die vielen Anti-Kriegsfilme, Kriegsfilme und Filme, in denen unsagbare Grausamkeiten verarbeitet werden sollen, ansieht, so bleibt eine Quintessenz übrig, die wie bitterer Essig schmeckt und immer wieder sauer aufstößt: Das Töten eines Menschen ist eines der schlimmsten Vergehen gegen die Gesetze des Geistes und es fordert seinen Tribut. Diesen Tribut zahlen die, die töten oder getötet haben, noch in diesem Leben. Sie zahlen ihn auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Die psychologischen Institute, die sich mit der Verarbeitung und Aufarbeitung von Kriegstraumata befassen, sind zahlreich. Die Ausgaben des Staates für traumatisierte Soldaten sind immens.


Paul atmet schlussendlich erleichtert auf, weil er, so sagt er selbst, während seiner Einsätze niemanden hat töten müssen. Und trotzdem glorifizieren wir immer wieder in Film und Büchern den Krieg, das Töten, den Tod und das Sterben für eine scheinbar gute Sache. „American Sniper“ wurde beim Oscar 2015 in insgesamt sechs Kategorien nominiert und gewann den Oscar in der Kategorie „Bester Tonschnitt“ für Alan Robert Murray und Bub Asman. Bei den Critics’ Choice Movie Awards 2015 erhielt Bradley Cooper eine Auszeichnung als „Bester Schauspieler in einem Actionfilm“. Letzteres kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Sicher hat Cooper eine ordentliche darstellerische Leistung abgeliefert. Besonders glaubwürdig war das gedanklich ständig im Einsatz sein. Seine Frau bittet ihn mehrfach eindringlich während seiner Heimaturlaube, er möge ganz zu ihnen zurückkommen, da er selbst bei körperlicher Anwesenheit nicht da sei. Aber darüber hinaus sehe ich an der soliden schauspielerischen Leistung nichts Außergewöhnliches, was eine Auszeichnung rechtfertigen würde.


Wie dem auch sei. Der Film der auch nur vordergründig ein Actionfilm ist, lässt einen eine ganze Zeit nicht los. Man beschäftigt sich lange damit. Und genau das sollte ein guter Film auch leisten. Er sollte, genauso wie ein gutes Buch, seinen Rezipienten zum Nachdenken anregen, zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Gesehenen. Und das leistet er voll und ganz.

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