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Zum Weinen schön! Diese kurze, prägnante, emotionale Formulierung bringt den neuen Disneyfilm „Maleficent“ des US-amerikanischen Visual-Effects-Supervisors und Szenenbildners Robert Stromberg, der mit „Die dunkle Fee“ sein Debüt als Filmregisseur gibt, wohl am treffendsten auf den Punkt. Linda Woolverton ist hier ein ganz außergewöhnliches Drehbuch gelungen, und vor allem der Hauptdarstellerin Angelina Jolie (*1975), die nach einer fast vierjährigen Pause erstmals wieder auf der Leinwand zu sehen ist – Salt und The Tourist waren 2010 im Kino zu sehen –, ist es wohl zu verdanken, dass die filmische Umsetzung wirklich wunderschön, elegisch, zauberhaft, anrührend, psychedelisch, und doch – auch ein bisschen, ein ganz klein wenig kafkaesk geraten ist.
Der Film vermischt die ohnehin verwandten Genres Fantasy und Märchen zu einem glänzend mundenden Cocktail, bei dem angefangen von dem sehr gut entwickelten Plot über die Farben, das Licht, die Bilder, die Metaphorik und die Stimmung einfach alles wunderbar stimmig ist und sich damit nahtlos in die Tradition großer Disney-Klassiker einreihen wird. Dabei gelingt auch der bei derartigen Projekten oft als Drahtseilakt empfundene Spagat zwischen einer fast wörtlich zu nennenden Detailtreue zur Vorlage und den notwendigen Freiheiten einer Neuinterpretation.
Märchen neu zu erzählen, aus anderen Blickwinkeln zu beleuchten, ihre besondere Tiefe und Doppelbödigkeit auszuloten, ist nichts Neues, das wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder, gerade auch mit den Märchen der Gebrüder Grimm, versucht und mal mit größerem, mal mit kaum beachtetem Erfolg in den diversen Spielarten des Szenisch-Dialogischen umgesetzt. Man denke nur an „Snow White and the Huntsman“ (2012), „Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“ (2012) oder „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ (2013). „Maleficent“ basiert und auf dem Märchen „Dornröschen“, das, durch die Gebrüder Grimm überliefert, auf Charles Perrault (1628-1703) zurückgeht, einen französischen Schriftsteller und hohen Beamten, der das Märchengenre durch seine Märchensammlung Contes de Fées (eigtl. Histoires ou Contes du temps passé avec des moralités, 1697) in Frankreich bekannt machte und von dem viele deutsche Märchenschaffende, u.a. die Gebrüder Grimm, Ludwig Bechstein (1801-1860) und Franz Xaver von Schönwerth (1810-1886), profitiert haben. Darin geht es um nichts Geringeres als die Macht der wahren Liebe.
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Die einzige Tochter eines Königs wird von einer sich zurückgesetzt fühlenden Fee verflucht, sich an ihrem fünfzehnten Geburtstag mit einer Webspindel zu Tode zu stechen. Eine weitere Fee wandelt den Fluch allerdings in einen ewigen Schlaf um, aus dem nur der Kuss der wahren Liebe aufzuwecken vermag. Natürlich kommt, wie sich das für ein ordentliches Märchen gehört, ein edler Prinz des Weges, der die Prinzessin, die mitsamt ihrem ganzen Hofstaat hinter einer Dornenhecke ruht, daraus befreit und wach küsst. Nicht so in „Maleficent“. Todorovs Zwei-Welten-Modell folgend, spielt sich die gesamte Handlung in zwei relativ hermetisch abgeriegelten Welten ab: zum einen in der Welt der Menschen, die durch eine große, mächtige Burg dominiert wird und der Welt der Feen und Phantasiegeschöpfe, die Welt der Naturmystik „in den Mooren“. Die Grenzen der beiden Welten werden streng bewacht. Die Feen haben mit den Menschen schlechte Erfahrungen gemacht und die Menschen andersherum auch mit den Feen.
In dieser Welt wächst die kleine Fee Maleficent (dtsch. Malefiz; Angelina Jolie, als junge Fee dargestellt von Ella Purnell (*1996) und Isobelle Molloy) heran, ein gutmütiges Wesen, das in seiner Optik allerdings noch andere Wurzeln erahnen lässt. Sie hat nämlich riesige fledermausartige Flügel und auf dem Kopf trägt sie große, gewundene, regelrechte Teufelshörner. Also keine „klassische“ Fee, wie man sie kennt, sondern eher ein Mischwesen, eine Kreuzung von Dunklem, Unheilverheißendem und Lichterfülltem, Liebevollem: In ihrem Charakter kämpfen das Böse und das Gute der Welt den ewig gleichen Kampf, mal hat die eine Seite, mal die andere die Oberhand.
Maleficent verliebt sich in Stefan (Sharlto Copley (*1973), als junger Mann dargestellt von Toby Regbo (*1991) und Michael Higgins), der allerdings ihre Liebe nur anfänglich erwidert, dann aber durch sein eigenes Machtstreben zum Verräter an seiner einstigen Freundin wird. Nachdem das Reich der Moore vom König der Menschen angegriffen worden ist, den Angriff aber erfolgreich abschmettern konnte, zaubert Maleficent eine große undurchdringliche Dornenhecke um das Reich der Moore. Stefan betäubt Maleficent und nimmt ihr ihre Flügel, um mit ihnen als Siegestrophäe die Hand der Königstochter zu erhalten und selbst König zu werden, was ihm auch gelingt. Bei der Taufe seiner kleinen Tochter Aurora (lat. die Morgenröte; Elle Fanning (*1998)) verflucht Maleficent das Kind unwiderruflich. Es soll sich an einen Tag nach seinem sechzehnten Geburtstag an einer Spindel stechen und in einen todesähnlichen Schlaf fallen. Nur „der Kuss der wahren Liebe“ kann sie dann noch ins Leben zurückbringen. Diese Bedingung wird in der Überzeugung ausgesprochen, dass es die wahre Liebe nicht gibt.
Der König übergibt seine Tochter der Obhut von drei eher einfältigen und streitsüchtigen Feen, die nicht mit Maleficents Wandlung einverstanden sind. Sie sollen das Kind großziehen und es an seinem sechzehnten Geburtstag zu seinem Vater zurückbringen. Mit dieser Aufgabe sind die drei absolut überfordert und so wacht Maleficent über all die Jahre über das Kind und mit der Zeit schwindet ihr Hass auf das „Monsterchen“, wie sie die Kleine liebevoll nennt. Nach fünfzehn Jahren lernen sich beide dann im Wald kennen und Aurora entdeckt das Reich der Moore, die Welt der Feen, als die personifizierte Sehnsucht ihres Herzens. Maleficent wird endgültig von dem engelgleichen Wesen ihres Schützlings gefangengenommen, wird zur Patin, zur Freundin, zum Mutterersatz. Sie versucht den Fluch wieder von Aurora zu nehmen, was ihr nicht gelingt.
Aurora lernt im Wald den schmucken Prinzen Phillip (Brenton Thwaites (*1989)) kennen und es scheint zwischen beiden zu funken. Sie erfährt von den Feen von ihrer Verwünschung, bricht mit Maleficent, eilt in die Burg, wird von ihrem Vater abgewiesen und sticht sich daraufhin ganz bewusst mit der Spindel in den Finger, woraufhin sie dem Fluch gemäß in den todesähnlichen Schlaf fällt. Maleficent hat alles versucht, um das Schicksal Auroras zu verhindern. Sie ist gescheitert. Nun betäubt sie den Prinzen, dem Aurora im Wald begegnet ist, kämpft sich in die Burg vor bringt den Prinzen an das Lager Auroras. Der Prinz küsst das Mädchen und … scheitert! Nichts passiert! Also war es wohl nicht weit her mit der Liebe. Da beugt sich Maleficent in einer elegisch schönen Szene über das Mädchen und küsst sie auf die Stirn. Aurora erwacht – der Kuss der wahren Liebe, den sie von dem Wesen empfing, welches die Ursache ihres Schicksals war, hat den Fluch aufgehoben.
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Spätestens hier drängt sich dem Zuschauer sehr stark der Verdacht einer eindeutig feministischen Auslegung des Märchenstoffes auf. Die Männer in diesem Film sind durch die Bank weg alles Versager oder Bösewichter. Auf sie ist kein Verlass, sie halten weder Versprechen, noch sind sie Manns genug, Dinge, die sie begonnen haben, auch konsequent zuende zu führen – Stefan bringt es nicht übers Herz, Maleficent zu töten, als er die Chance dazu hat. Sie sind mutlos, verschanzen sich und sind voll Hass auf alles, was weiblich ist – Stefan ignoriert die Bitte seiner todsterbenskranken Ehefrau, mit ihr zu reden, als sie schwer danieder liegt. Der edle Prinz ist ein Versager, dem noch nicht einmal ein Kuss wahrer Liebe gelingt und schließlich hält sich Maleficent eine Art Kammerdiener, Diaval (Sam Riley (*1980)), den sie je nach Laune und Gutdünken die Gestalt wechseln lässt – mal tritt er als Rabe, mal als Pferd und sogar als Drache auf – und der ihre Flügel ersetzen soll und ihre Augen darstellt. Aber auch dieses Wesen ordnet sich ihr absolut unter. Er macht zwar einmal den Versuch, ihr entgegenzutreten, ihr die Meinung zu sagen, aber dies geschieht nur sehr halbherzig und bleibt völlig bedeutungs- und konsequenzlos.
Das völlige Fehlen von Nebenschauplätzen oder Nebenhandlungen, die völlige Vernachlässigung von Nebenkonflikten, was man einem anderen Filmplot sofort als Schwäche auslegen würde, macht diesen Film aber gerade für Kinder so wertvoll. Es erlaubt ihnen, sich nur auf die eine Sache, das eine Problem völlig und ganz zu konzentrieren und mausert sich so zum folgerichtigen Beweis der echten und wahren Liebe, die es immer gibt und geben wird. Die Tatsache, dass sie hier scheinbar zwischen Maleficent und Aurora, also zwei Frauen, zustande kommt, sollte man vor dem Hintergrund der momentan aktuell so hitzig geführten Homophobie-Debatte nicht allzu stark überinterpretieren. Immerhin handelt es sich beim Kuss der wahren Liebe hier nicht um einen intensiven Zungenkuss, sondern lediglich um einen behutsamen, mütterlich zu nennenden Kuss auf die Stirn. Und dann, schließlich, lebten glücklich bis an ihr Lebensende? Nun, die Gerüchteküche brodelt bereits, angefacht durch Angelina Jolie selbst, es sieht alles ganz nach einer Fortsetzung aus.
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