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Vom Wesen der Zeit – oder: Warum es so etwas wie Schicksal nicht geben kann – eine These

 „Die Entscheidungen, die wir treffen,
bestimmen das Leben, das wir führen.“

(Mr. Bill, USA 1994)

Ich möchte mich in dem folgenden Artikel einmal nicht mit der Besprechung, Rezension oder Berichterstattung zu künstlerischen Werken anderer befassen, einmal nicht deren Stärken und Schwächen aufzeigen oder zum Nachdenken darüber mahnen, nein, dieses Mal soll es mir um eine eigene These, wenn man so will, gehen.
Es handelt sich hierbei um den Versuch einer Erklärung zum Wesen der 4. Dimension, also der Zeit. Was ist das überhaupt, dieses Phänomen Zeit? Wie funktioniert es? Wie kann ich es verstehen? Funktionieren Zukunftsvorhersagen? Sind wir durch ein übergeordnetes Schicksal determiniert, wie uns das viele Religionen und Ideologien Glauben machen wollen? 
Dazu zunächst einen kleinen Textauszug aus der Science-Fiction-Serie Perry Rhodan. Kurz zum Hintergrund. Der Raumpilot der US-Space Force entdeckt bei der ersten Landung der Menschheit auf dem Mond ein gestrandetes Forschungsraumschiff der Arkoniden, einer ungeheuer weit überlegenen außerirdischen Macht. Er macht sich die Technik dieser Wesen zunutze und versucht, die Menschheit politisch zu einen. Dies gelingt natürlich nicht auf Anhieb. Er errichtet in der Wüste Gobi eine neutrale „Dritte Macht“ zwischen dem Westblock auf der einen und dem Ostblock und der „Asiatischen Förderation“ auf der anderen Seite. Im Rahmen der Auseinandersetzungen stoßen immer mehr Menschen mit besonderen Fähigkeiten zur Dritten Macht, sogenannte Mutanten. Bei ihnen liegt aufgrund einer durch atomare Strahlung verursachte Veränderung der Erbmasse, eine besondere Begabung parapsychischer Natur vor, eine sogenannte Mutation. Gedeutet wird dies damit, dass die Menschheit einen Entwicklungsgrad übersprungen hat. Unter diesen Telepathen, Teleportern und Telekineten gibt es auch einen Menschen, einen Deutschen, mit einer sehr speziellen Begabung. Ernst Ellert ist Teletemporarier, das bedeutet, er vermag Körper und Geist voneinander zu trennen und seinen Geist sogar in die Zukunft zu schicken. Mit diesem Ellert führt Perry Rhodan im Rahmen einer Dienstbesprechung ein kurzes Gespräch über das Wesen der Zeit: 

(...) „Sie weilten oft in der Zukunft, Ellert. Haben Sie dort jemals Anzeichen dafür gefunden, dass die Dritte Macht existiert? Werden wir den Kampf gegen die Invasoren erfolgreich beenden?“ 
Über Ellerts Gesicht huschte ein Schatten. 
„Ich muss Sie enttäuschen – nein, nicht wie Sie meinen. Die Zukunft ist nicht konkret. Es führen viele Wege in die Zukunft – oder besser gesagt: Es gibt nicht nur eine Zukunft. Die Gegenwart ist real, hervorgegangen aus der festliegenden Vergangenheit. Die Zukunft aber ist unreal und nicht gewiss. Das kleinste Geschehen der Gegenwart kann sie verändern. Darum habe ich niemals bisher in einer Zukunft geweilt, die nicht zu ändern gewesen wäre. Verstehen Sie, wie ich das meine?“ 
Als Perry langsam nickte, fuhr er fort: 
„Es gibt Tausende verschiedener Zukunften – Zukunften mit und ohne Perry Rhodan. Doch nur eine einzige der Möglichkeiten wird Wirklichkeit werden. Ich weiß, dass Sie nun enttäuscht sein werden, aber meine Fähigkeit, in die Zukunft reisen zu können, ist vollkommen ohne jeden Wert. Ich könnte in den falschen Zeitstrom geraten und entsprechend falsch berichten.“ 
„Woher wissen Sie, das alles, und warum haben Sie nicht früher davon gesprochen?“, fragte Perry mit leichtem Vorwurf. 
„Ich wusste es nicht“, gab Ellert verlegen zu. „In den vergangenen Tagen stellte ich verschiedene Experimente an. Nur eine von vielen möglichen Welten wird später einmal Wirklichkeit werden, aber ich habe keine Anhaltspunkte, welche das sein wird.“ 
„Damit“, sagte Perry Rhodan schwer, „sind Sie als Prophet wertlos geworden.“ 
Ellert nickte bedauernd. Das wissende Licht in seinen Augen aber blieb. Log er? (…) 
(Perry Rhodan, Das Mutantenkorps, 5. Auflage, Moewig: Rastatt 1979, S. 121-122)
 
Deutet man nun diesen Text zeichnerisch, so kommt dabei folgendes Schaubild heraus:
 
Bei der näheren Beschreibung, bzw. bei der Ausdeutung der Zeichnung, kann man allerdings noch weit mehr sagen, als in dem Romantext angedeutet wird:
Die Vergangenheit (Präteritum) ist demnach eine reale, feststehende Größe. Sie ist bereits geschehen, daher unveränderbar und als unumkehrbar zu begreifen. Die Gegenwart (Präsens) ist etwas, das ständig im Fluss ist und was ständig eine neue Vergangenheit auf der einen Seite und eine neue Zukunft auf der anderen Seite gebirt. Dabei gehört es zum Wesen der Gegenwart, dass sie in dem Augenblick, da sie passiert, bereits wieder Vergangenheit wird. Aus ihr heraus entwickeln sich nun unzählige Möglichkeiten für Zukunften. Welche dieser ungezählten Möglichkeiten nun tatsächlich auch eintrifft, zur Gegenwart und daraufhin zur Vergangenheit wird, kann beim besten Willen niemand vorhersagen, da die Entscheidung, wie es weitergeht, jedes handelnde Individuum selbst trifft. Somit bestimmen die Entscheidungen, die wir im gegenwärtigen Moment treffen, die Zukunft, die uns ereilen wird.
Nun gibt es aber eine Menge Menschen auf dieser Welt, die aus religiösen oder ideologischen Gründen denken, dass wir in dieser gegenwärtigen Entscheidung nicht frei sind, sondern dass wir durch ein höheres Wesen, eine höhere Macht gelenkt sind. Man nennt das einen „Determinationsglauben“, also einen Glauben an eine Vorherbestimmung, an ein Schicksal, Fatum, Kismet, Karma oder was auch immer. 
Es ist hier nun nicht meiner Aufgabe, diese Art des Glaubens vorzustellen, zu kritisieren oder zu diskutieren, ich möchte in diesem Zusammenhang nur eine einzige Sache zu bedenken geben: Wenn wir davon ausgehen, dass Gott der Schöpfer des Menschen und der ganzen Welt ist, wenn wir ferner davon überzeugt sind, dass er uns nach seinem Abbild geschaffen hat, mit einem eigenen Verstand und der Unterscheidung zwischen Gut und Böse ausgestattet hat, dann erscheint es nach streng logischen Gesichtspunkten doch völlig unsinnig, dass er uns in unserer Freiheit, unser Dasein so zu gestalten, wie wir das wollen, in unserer Freiheit, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen, in unserer Freiheit, uns selbst bestimmen zu können, derart eingeschränkt hat. Wären wir wirklich unfrei im Sinne eines Schicksals, das unseren Weg vorherbestimmt, was wäre dann der Sinn unseres Lebens? Eine Existenz nach dem Baukastensystem? Eine Existenz, die durch eine übergeordnete Macht festgelegt und bestimmt wird? Dann wäre im Umkehrschluss Gott selbst nicht frei. Gott selbst wäre geschaffen und durch ein noch höheres Wesen als ihn selbst – sofern unser Verstand eine solche Vorstellung überhaupt zulässt – bestimmt, da wir ja Abbild unseres Schöpfergottes sind. In der Tat ließe sich eine solche Annahme durch die griechische Mythologie belegen, da ja dort selbst der Göttervater Zeus einen Vater hatte und dass dort vor den Göttern die Titanen kamen. Auch wäre die Determination neben all ihren negativen Auswirkungen auf die menschliche Existenz durchaus eine sehr bequeme Angelegenheit; man ist nämlich, glaubt man an ein Schicksal, eine übergeordnete Macht, bar aller Verantwortung für Entscheidungen, die man trifft, und die Folgen dieser Entscheidungen. Man kann alles auf das Schicksal schieben, so wie es die Moslems noch im 19. Jahrhundert gemacht haben: „Es ist alles im Buch des Lebens verzeichnet.“ Aber Menschen sind verantwortlich für das, was sie entscheiden und tun. Diese Verantwortung können sie nicht einfach so an ein Schicksal delegieren, und zu dieser Verantwortung werden sie gezogen, von ihnen wird Rechenschaft über das Leben, das sie geführt haben, gefordert. Von solchen Endgerichtsszenarien sind unsere Religionen und Weltanschauungen voll.
Der geschätzte Leser, der mir bis hierher in meinen Überlegungen gefolgt ist, ist nun aufgefordert, sich seine Gedanken dazu zu machen und sich seine eigene Meinung zu bilden. Die Disputation ist hiermit eröffnet.

Kommentare

  1. Man kann es auch viel einfacher machen:
    Dadurch, dass es den ZUFALL gibt, was wissenschaftlich bewiesen ist, kann es keinen absoluten Determinismus geben, höchstens einen statistischen.
    Was ein freier Wille oder Gott dagegen sind, ist eher philosophisch, metaphysisch oder gar lyrisch.

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  2. Jetzt wäre es natürlich toll, wenn wir hier den wissenschaftlichen Nachweis für den Zufall geliefert bekämen.

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