(Der vorliegende Artikel erschien in stark redigierter und gekürzter Form in der Rhein-Lahn-Zeitung in Bad Ems Nr. 211 vom Mittwoch, 11. September 2013 auf Seite 20 und in der Westerwälder Zeitung Nr. 216 vom 17. September 2013 auf Seite 26.)
Der Kultursommer Rheinland-Pfalz steht 2013 unter dem Motto „Eurovisionen“. In diesem Rahmen fand in der Zeit vom dritten bis siebten September in Bad Ems an der Lahn in Kooperation mit dem Festival „Gegen den Strom“ das 1. Filmmusikfestival Bad Ems statt. Wiederum in diesem Rahmen las nun der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller und Regisseur Patrick Roth (*1953) (=> Homepage) aus seinem neuesten Buch vor.
Das Ambiente war angemessen. Die kleine Eventhalle „Theater im Badhaus“ war, im Verhältnis gesehen, für eine solche Veranstaltung reichlich gefüllt. Der Ideengeber und künstlerische Leiter des Filmmusikfestivals, der renommierte Pianist, Keyboarder und Filmmusikkomponist Matthias Frey (*1956) (=> Homepage) begrüßte persönlich den Autor und das Publikum. Am Beginn des Abends stand ein leider nur sehr kurzer Ausschnitt aus dem im Jahr 2006 für das ZDF produzierten Film-Essay „In My Life – 12 Places I Remember“ – eine Arbeit, die Roth im Rahmen seiner Mainzer Stadtschreibertätigkeit verfertigt hatte. Das ZDF hatte nur zirka sechs bis sieben Minuten genehmigt (sic!).
Und noch einmal Patrick Roth! Oder sollte es besser heißen: Und wieder einmal Patrick Roth? Ich hatte bereits im April auf diesem Blog über eine Lesung dieses außergewöhnlichen und sehr sympathischen Ausnahmeautors, dieses Intellektuellen par exellence, berichtet. Seinerzeit – im Frühjahr – ging es in „Sunrise. Das Buch Joseph“ um ein biblisches Thema, es ging um den Lebensweg Josephs, des Ziehvaters des Jesus von Nazareth. Am Abend des fünften September 2013 jedoch – also im beginnenden Herbst – ging es nun um einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte, die er in einer Sammlung von zehn autobiographischen Stories festgehalten hat. Siebenunddreißig Jahre (1975-2012) hatte Patrick Roth in Amerika gelebt und gearbeitet, in Santa Monica in direkter Nähe zur Traumfabrik Hollywood gewohnt. Und so klärte er seine zahlreich erschienenen Zuhörer unter anderem über den höchst interessanten Sachverhalt auf, was der südbadischen Dichter, Theologe und Pädagoge Johann Peter Hebel (1760-1826) und die Filmmetropole Hollywood wohl miteinander gemeinsam haben. Ein Blick in sein im Göttinger Wallstein Verlag – im übrigen war der Verleger und Lektor Thorsten Ahrend (ehemals suhrcamp) persönlich zugegen – neu erschienenes Buch „Die amerikanische Fahrt. Stories eines Filmbesessenen“, welches nun die oben genannten zehn Stories zwischen Buchdeckeln vereint, brachte die Antwort: Patrick Roths Ankunft im Amerika der 1970ziger Jahre ist geprägt von unglaublich vielen Eindrücken, die es zu verarbeiten gilt, und die allererste Story „Hebels Hollywood“, welche die Erfahrungen der Jahre 1975 bis 1981 zusammenfasst, war das zentrale Moment der Lesung, die etwa eine Stunde dauerte.
Und genau dieser Umstand, dass von den zehn Stories des Buches nur eine einzige – diese aber dann komplett – gelesen wurde, empfand ich als wohltuend. Wohltuend war ebenso die Länge der Lesung, die mit knapp einer Stunde genau richtig war – obwohl man einem Mann von Roths Format und Erfahrungsschatz ewig gebannt lauschen könnte – und der anschließenden kurzen Fragerunde noch genügend Raum bot, auf der Seele brennende Fragen zu stellen, denen der Autor sich nur allzugern annahm. „Hebels Hollywood“ ist allerdings nicht nur ein Appetizer, ein Appetitanreger, sie ist weit mehr. Sie ist eine Einladung, Hollywood durch Roths Augen wahrzunehmen, ihn auf seinen Cruising-Touren über die nächtlichen Boulevards zu begleiten, sich auf die Rückbank seines alten VWs zu setzen, dessen Beifahrertür nicht mehr aufgeht, und seinen eigenen Worten zu lauschen, mit denen er die Geschichten seiner Lieblingsdichter auf ein Tonbandgerät gesprochen hat, was er auf diesen Fahrten dann abspielte. Sie ist schon ein Meisterwerk der Erzählkunst für sich.
Das Ambiente war angemessen. Die kleine Eventhalle „Theater im Badhaus“ war, im Verhältnis gesehen, für eine solche Veranstaltung reichlich gefüllt. Der Ideengeber und künstlerische Leiter des Filmmusikfestivals, der renommierte Pianist, Keyboarder und Filmmusikkomponist Matthias Frey (*1956) (=> Homepage) begrüßte persönlich den Autor und das Publikum. Am Beginn des Abends stand ein leider nur sehr kurzer Ausschnitt aus dem im Jahr 2006 für das ZDF produzierten Film-Essay „In My Life – 12 Places I Remember“ – eine Arbeit, die Roth im Rahmen seiner Mainzer Stadtschreibertätigkeit verfertigt hatte. Das ZDF hatte nur zirka sechs bis sieben Minuten genehmigt (sic!).
Matthias Frey |
Und noch einmal Patrick Roth! Oder sollte es besser heißen: Und wieder einmal Patrick Roth? Ich hatte bereits im April auf diesem Blog über eine Lesung dieses außergewöhnlichen und sehr sympathischen Ausnahmeautors, dieses Intellektuellen par exellence, berichtet. Seinerzeit – im Frühjahr – ging es in „Sunrise. Das Buch Joseph“ um ein biblisches Thema, es ging um den Lebensweg Josephs, des Ziehvaters des Jesus von Nazareth. Am Abend des fünften September 2013 jedoch – also im beginnenden Herbst – ging es nun um einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte, die er in einer Sammlung von zehn autobiographischen Stories festgehalten hat. Siebenunddreißig Jahre (1975-2012) hatte Patrick Roth in Amerika gelebt und gearbeitet, in Santa Monica in direkter Nähe zur Traumfabrik Hollywood gewohnt. Und so klärte er seine zahlreich erschienenen Zuhörer unter anderem über den höchst interessanten Sachverhalt auf, was der südbadischen Dichter, Theologe und Pädagoge Johann Peter Hebel (1760-1826) und die Filmmetropole Hollywood wohl miteinander gemeinsam haben. Ein Blick in sein im Göttinger Wallstein Verlag – im übrigen war der Verleger und Lektor Thorsten Ahrend (ehemals suhrcamp) persönlich zugegen – neu erschienenes Buch „Die amerikanische Fahrt. Stories eines Filmbesessenen“, welches nun die oben genannten zehn Stories zwischen Buchdeckeln vereint, brachte die Antwort: Patrick Roths Ankunft im Amerika der 1970ziger Jahre ist geprägt von unglaublich vielen Eindrücken, die es zu verarbeiten gilt, und die allererste Story „Hebels Hollywood“, welche die Erfahrungen der Jahre 1975 bis 1981 zusammenfasst, war das zentrale Moment der Lesung, die etwa eine Stunde dauerte.
Und genau dieser Umstand, dass von den zehn Stories des Buches nur eine einzige – diese aber dann komplett – gelesen wurde, empfand ich als wohltuend. Wohltuend war ebenso die Länge der Lesung, die mit knapp einer Stunde genau richtig war – obwohl man einem Mann von Roths Format und Erfahrungsschatz ewig gebannt lauschen könnte – und der anschließenden kurzen Fragerunde noch genügend Raum bot, auf der Seele brennende Fragen zu stellen, denen der Autor sich nur allzugern annahm. „Hebels Hollywood“ ist allerdings nicht nur ein Appetizer, ein Appetitanreger, sie ist weit mehr. Sie ist eine Einladung, Hollywood durch Roths Augen wahrzunehmen, ihn auf seinen Cruising-Touren über die nächtlichen Boulevards zu begleiten, sich auf die Rückbank seines alten VWs zu setzen, dessen Beifahrertür nicht mehr aufgeht, und seinen eigenen Worten zu lauschen, mit denen er die Geschichten seiner Lieblingsdichter auf ein Tonbandgerät gesprochen hat, was er auf diesen Fahrten dann abspielte. Sie ist schon ein Meisterwerk der Erzählkunst für sich.
Und so wird Hebels „Unverhofftes Wiedersehn“ (1811) zum Kommentar, zum Seelenspiegel der großen Einsamkeit, der ungeheuerlichen amerikanischen Weite, wenn seine Worte an ganz besonderen Plätzen und Orten in und um Hollywood aus Roths eigenem Mund erklingen, und bewahrt gleichzeitig davor, die eigene Muttersprache zugunsten der amerikanischen Alltagssprache mehr und mehr zu verlieren. Berühmte Namen der deutschen und europäischen Kulturlandschaft des 20. Jahrhunderts begegen dem Zuhörer in Roths Erzählung genauso, wie Namen, die untrennbar mit der amerikanischen Filmgeschichte verbunden sind. Namen wie Thomas (1875-1955) und Heinrich Mann (1871-1950), Igor Stravinsky (1882-1971), Lion Feuchtwanger (1884-1958), Lotte Eisner (1896-1983) und Honoré de Balzac (1799-1850), aber auch Alfred Hitchcock (1899-1980), John Ford (1894-1973) und David Wark Griffith (1875-1948) tauchen schemenhaft aus dem Nebel auf, nur um im nächsten Moment wieder zu verglühen wie Momentaufnahmen einer längst vergessenen Zeit – eine Generation, wie Roth erklärt, die er damals für längst vergangen hielt, war dort, an jenen Plätzen, immer noch sehr lebendig.
Und so wie Roth seine Erzählung aufbaut, als große einzigartige Kamerafahrt, als Montage unterschiedlicher Erzählperspektiven, so ist auch das ganze Buch an den Aufbau eines Drehbuchs angelehnt. Filmtechnik und Prosastil gehen so eine fulminante Symbiose ein. Gebannt lauschte man, ließ sich hineinziehen, das Kino im Kopf lieferte die Bilder, die durch den Text, durch die Zeilen hindurch den Weg in die eigene Vorstellungswelt fanden. Mehr möchte man ausrufen, mehr, und immer mehr von dieser fast schon magisch zu nennenden Literatur, die süchtig zu machen vermag. Und so bleibt am Ende nur in respektvoller Abwandlung einer berühmt gewordenen Aussage über Johann Sebastian Bach nur zu sagen: „Nicht Roth – Mehr (davon) müsste er heißen!“
Und so wie Roth seine Erzählung aufbaut, als große einzigartige Kamerafahrt, als Montage unterschiedlicher Erzählperspektiven, so ist auch das ganze Buch an den Aufbau eines Drehbuchs angelehnt. Filmtechnik und Prosastil gehen so eine fulminante Symbiose ein. Gebannt lauschte man, ließ sich hineinziehen, das Kino im Kopf lieferte die Bilder, die durch den Text, durch die Zeilen hindurch den Weg in die eigene Vorstellungswelt fanden. Mehr möchte man ausrufen, mehr, und immer mehr von dieser fast schon magisch zu nennenden Literatur, die süchtig zu machen vermag. Und so bleibt am Ende nur in respektvoller Abwandlung einer berühmt gewordenen Aussage über Johann Sebastian Bach nur zu sagen: „Nicht Roth – Mehr (davon) müsste er heißen!“
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