„Mehr Europa heißt mehr gelebte und geeinte Vielfalt.“– Bundespräsident Joachim Gauck (*1940) formuliert diese Parole, diese indirekte Arbeitsanweisung in seiner Grundsatzrede zu Europa am 22. Februar 2013 im Schloss Bellevue und die 12. Westerwälder Literaturtage haben sich diese halbverdeckte Forderung auf ihre Fahnen geschrieben. Sie laden zwischen Mai und September insgesamt vierzehn teilweise renommierte, namenhafte, aber auch noch unbekannte und am Anfang ihres Schaffens stehende Autoren ein, um ihre aktuelle Bücher vorzustellen und daraus zu lesen. Den Anfang machte am 5. Mai bereits der bekannte Hildesheimer Professor und Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil (*1951), dem nun eben die britische Autorin Priya Basil (*1977) folgte. Basil lebt zeitweise in London und Berlin, wo sie mit einem Deutschen liiert ist.
Hier geht es zur Homepage von Priya Basil.
Doch war dieser alte Verwaltungssitz der Fürstlich-Hatzfeldt-Wildenburg'schen Kammer und Wohnsitz der Familie der Grafen von Dönhoff eine ungeheuer urige, sehr erdige Angelegenheit, überall atmete man Geschichte und allein der Aufstieg in den Saal, in dem die Lesung stattfinden sollte, war ein kleines Abenteuer für sich. Flankiert von Wildschweinköpfen, die grimmig aus leeren Augen auf den Besucher herabstarrten, ging es über grobes Steinpflaster leicht bergan durch zwei Tore und einen Gang, der in den obersten Innenhof führte. Dort betrat man dann nach links gewendet ein Gebäude und gelangte über eine halbrunde Holztreppe in den besagten Saal.
Es waren verhältnismäßig wenige Besucher anwesend; im Nachhinein muss man das bedauern, denn die Lesung, die nun folgte, war in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Normalerweise kennt man es so, dass man zunächst den Schriftsteller kennen lernt, ihn lesend als Gestalter seiner Texte erlebt – und beileibe kann nicht jeder Autor auch fesselnd vortragen –, dann folgt in der Regel eine Fragerunde, in der der Künstler seinem Auditorium Rede und Antwort steht, woran sich für gewöhnlich die obligatorische Signierstunde anschließt. Nicht so hier. Wir erlebten eine bilinguale, breitangelegte Mischung aus Moderation, Interview und ernsthafter Auseinandersetzung mit allen möglichen Fragen rund um die Schriftstellerin und ihre Vita, ihr Verständnis von Literatur, ihre politischen Ansichten und über 'ihre' Art des Schreibens, nein, besser ihre Philosophie des Schreibens, die die Tätigkeit des Schriftstellers als ein Handwerk begreift, das dem Betreffenden eine große Selbstdisziplin und in gewisser Form auch eine Askese abverlangt.
Der Moderator war der unter dem Pseudonym Robin Seals bekannte Übersetzer Robben Bernhard (*1955), dessen Stimme mit ihrem angenehm sonoren Grundton einen wunderbar kontrastreichen Gegenpol zur hellen und doch klaren und von einem ordentlichen Stimmsitz zeugenden Stimme Basils bildete. Bernhard sprach sehr oft bei fast geschlossenem Mund durch die Zähne, was seinem Vortrag und seiner Moderation einen eigentümlichen, fast schon mystischen Ton verlieh, in dem sich so mancher Zuhörer träumend verlor und zum genauen Hinhören zwang. Der gewagte Spagat des permanenten Wechsels zwischen der englischen und deutschen Sprache, zwischen Kommentar und moderierend freier Übersetzung gelang und die drei ausgewählten Exzerpte aus dem aktuellen Roman Basils, welcher in der deutschen Übersetzung schlicht „Die Logik des Herzens“ heißt und dem das eigentlich interessante Attribut „obscure“ = „obskur, dunkel“ aus verkaufstechnischen Gründen vorenthalten wurde, waren jeweils sehr differenziert ausgewählt und beleuchteten gekonnt die unterschiedlichen Facetten dieser Geschichte, die sich nahtlos in die vielen modernen Romeo-und-Julia-Varianten einzureihen scheint, die aber dennoch so vieles mehr als eine einfache Liebesgeschichte ist, tatsächlich aber im Gewande einer solchen recht naiv daherzukommen scheint und augenzwinkend zu fragen wagt: „War das was? Ich bin doch völlig unschuldig.“
Doch die Autorin ist alles andere als naiv. Wer sie kennen lernt und vor allem sprechen hört, erkennt am von scheinbar strengen Lehrern ausgeformten, ungeheuer eleganten Oxford-Englisch bereits die Bildung dieser bemerkenswerten jungen Schriftstellerin, die alles Naive sofort verbannt und verdeutlicht, dass alles, was sie schreibt, wohl durchdacht und ganz bewusst ist. Sie scheut auch keineswegs die direkte Auseinandersetzung mit den Religionen dieser Welt, die sehr kritisch und doch sehr realistisch gezeichnet werden, vor allem in den Charakteren, die sie erschafft und die sehr wirklich im Sinne von alltagstauglich, ja, man möchte schon fast von naturalistisch sprechen wollen, konzipiert sind. Dennoch aber überlegt sie sehr genau, wo die Grenzen sind, wo sie aus Respekt vor der Andersartigkeit, vor der Würde und dem Alter der jeweiligen Weltanschauungen kritische Szenen und Aussagen überdenkt und in einen Kontext stellt, der für beide Seiten erträglich ist. In diesem Sinne ist Priya Basil eine echte Europäerin, eine – auch im religiösen Sinne – Autorin, die die Forderung des Bundespräsidenten, die ich eingangs erwähnte, ernstnimmt und weitertradiert.
So schließt sich der Kreis und wir können auf weitere Werke gespannt sein. Und auch auf weitere Veranstaltungen der Westerwälder Literaturtage.
(Priya Basil zitiert diesen Blogbericht dankenswerter Weise auf ihrer Homepage. Vielen Dank dafür!)
(Priya Basil zitiert diesen Blogbericht dankenswerter Weise auf ihrer Homepage. Vielen Dank dafür!)
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