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Andreas Wellano - Durchgeritten. Alles von Karl May - Birgitta Linde

Rezension der Premiere des neuen Stücks über Karl May von Birgitta Linde mit Andreas Wellano

(Der vorliegende Text erschien in den KMG-Nachrichten Nr. 176. Das Vierteljahresmagazin der Karl-May-Gesellschaft, 2. Quartal - Juni 2013, S. 41-43)



Und in der Tat, Old Shatterhand hielt mit nichts zurück, sondern erzählte uns von allem Möglichen, und zwar im buntesten Wechsel, von einem Gebiet ins andere überspringend, ohne dass es mir gelungen wäre, irgendwelche Assoziationspunkte zu entdecken, von den intimsten Dingen, die ihm persönlich Seele und Leib berührten, von seiner Brautwerbung wie von seinen Mahlzeiten, von erlebten Abenteuern …“1So berichtet es ein Zeuge, der bei einem der Vorträge von Dr. Karl May (1842-1912) persönlich zugegen war. Und so erlebten ich, Gordon Piedesack und viele andere es am Abend des 4. Mai 2013 in Neuen Theater in Frankfurt-Höchst.



Ich war durch einen Freund aus Frankfurt am Main darauf aufmerksam gemacht worden, dass es da ein neues Karl-May-Stück gäbe, das demnächst Premiere hätte: „Durchgeritten. Alles von Karl May. Director's Cut“ (Link zum Bffftheater) Also buchten wir die Karten, ich setzte mich gemütlich in den Zug und fuhr nach Frankfurt-Höchst, um der Dinge zu harren, die da kommen sollten, immerhin ist man als Karl-May-Freund immer ein wenig skeptisch, bei allem, was Bühnenschaffende so mit dem verehrten Autor auf der Bühne treiben, man erinnere sich nur an Daniel Calls (*1967) Tumult auf Villa Shatterhand und ähnliches. Nicht so hier.





In dem kleinen aber sehr atmosphärischen Theater, welches eigentlich eher auf Kabarett, Comedy und sonstige Kleinkunst-Inszenierungen spezialisiert ist, entfaltete der Schauspieler Andreas Wellano (*1948) gemeinsam mit der Autorin und Regisseurin Birgitta Linde die perfekte Illusion der leibhaftigen Begegnung mit dem Abenteuerschriftsteller. Die Idee dabei war: Was wäre, wenn Karl May in der heutigen Zeit noch einmal aus dem Himmel der Seligen herabsteigen könnte und uns seine Erlebnisse präsentieren könnte? Eine zugegeben gleichsam faszinierende, wie, auf den ersten Blick, absurde Idee! Wer würde ihn heute noch besuchen? Wer würde sich heute noch als bekennender May-Leser outen? Mit wem – vor allem von unseren deutschen Politikern – würde sich May beschäftigen?



Andreas Wellano, bekannt als der Tod aus der „Sorry“-Werbung von Mercedes Benz, meisterte die schwierige Gradwanderung und die große Herausforderung für Schauspieler und Publikum mit Bravour, ganz allein – in einem Ein-Mann-Stück, oder modern gesprochen in einer One-Man-Show – all die vielen verschiedenen Facetten der schillernden Persönlichkeit Mays kongenial nicht nur zu verkörpern, sondern auch zu leben: Mit dem Sattel auf der Schulter betrat Karl May durch den Zuschauerraum die Bühne, schrieb Autogramme noch und nöcher, erzählte, phantasierte, kommentierte, verkleidete sich, posierte und dokumentierte und … und … und …



Dabei machte er vor der deutschen Bahn genauso wenig Halt, wie vor der aktuellen deutschen Tagespolitik. Ein Feuerwerk an Gags und witzigen Einfällen, eine ironisch-überspitzte Auseinandersetzung mit seinen Werken, eine Satire, die aber zu keinem Zeitpunkt respektlos wirkte, eben eine glänzende Hommage an den verehrten Sachsen, der hier, konsequent in der Rolle des Abenteuerers von Welt, wohltuend eben einmal nicht sächselte, sondern glänzendes weltmännisches Hochdeutsch sprach. Ein Höhepunkt jagte den nächsten: Die Entblösung seines narbenübersähten Oberkörpers – die Narben bildeten feuerrote Post-its, mit denen er sich über und über beklebte –, die Rezension und Besprechung des Buches Vorerst gescheitert von Karl-Theodor zu Guttenberg, welches augenzwinkernd ein Karl-May-Autograph (sic! = Autogramm) erhält, da er, Karl May, ja der eigentliche Meister des modern gesprochen Copy & Paste ist, der Kampf mit drei Grizzlybären gleichzeitig, die die Namen der Gründer von Google, Amazon und Facebook erhalten, die natürlich alle von May nah hartem Kampfe besiegt werden, und so weiter und so fort.




Auch Kritisches blickte zwischen den Zeilen hindurch, wenn nämlich der berühmte Messerstich, den Old Shatterhand von Winnetou im ersten Winnetou-Band oberhalb des Halses in den Mund und durch die Zunge verabreicht bekommt, aus moderner medizinischer Sicht detailreich evaluiert und kommentiert wird. Die Tränenrührigkeit von Winnetous verklärtem Sterben wird durchlitten und gipfelt in der Aufführung aller drei Strophen des Ave Marias, welches sich der sterbende rote Freund kurz vor seinem Tod wünscht. May-Wellano singt es in Popstar-Manier zur Harfe, die er in derselben charakteristischen Art und Weise hält und bedient, wie einst June Carter Cash, die Ehefrau der amerikanischen Country-Legende Johnny Cash. Weiterhin liest er Auszüge aus seinen Werken vor, die er – natürlich, wie könnte es heutzutage auch anders sein – nicht mehr als Buch dabei hat, nein, er hat es auf seinem E-Book-Reader oder Tablet-PC gespeichert, weshalb er auch in völliger Dunkelheit noch vorzulesen vermag – man erinnere sich an das Unter-der-Bettdecke-mit -der-Taschenlampe-lesen frühere Jugendzeiten! Dazwischen stellt er sich immer und immer wieder in verschiedenen Verkleidungen in Pose, ganz so, wie der Mayster es sooft getan hat, wenn er sich zum Beispiel als Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi für Bilder und Postkarten ablichten ließ.


Andreas Wellano gibt Autogramme

Das zahlreiche Publikum – der Saal war voll – war von der ersten bis zur letzten Minute unglaublich gut aufgelegt, man kam aus dem Lachen kaum noch heraus, und in einer anschließenden kleinen Premierenfeier ließ man noch einmal den Schauspieler und natürlich die Autorin und Regisseurin Birgitta Linde hochleben und brachte ihnen Ovationen dar. Wellano selbst fand für jeden, mit dem er sprach, ein kurzes freundliches Statement, Linde zeigte sich überwältigt über die Reaktionen, ist sie doch keine ausgewiesene May-Kennerin, jedoch zeigt das Stück eine unglaublich eingehende, tiefgreifende Beschäftigung mit dem Volksschriftsteller und seinem Werk. Wohltuend war auch die Tatsache, dass sie May einmal zu der Zeit seines Lebens zeigt, da es ihm wirtschaftlich und schriftstellerisch gut geht, da er erfolgreich ist, quasi auf dem absoluten Höhepunkt seines folgenden Niedergangs schwimmt, also May, wie er wohl im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gewesen sein muss.



Höhepunkt und Abschluss der Old-Shatterhand-Legende? Verarbeitung des Münchhausen-Syndroms (Pseudologia phantastica), welches ihn zeitlebens nicht verlassen sollte und ihn auf seiner Orientreise in die große Krise stürzte? „Fantast, genialer Spinner und Schwadroneur, hinreißender Aufschneider und Schwindler, begnadeter Geschichtenerzähler und Bilderfinder, geehrter und geliebter „Weltreisender“ ...“, wie er im Programmheft beschrieben wird? Fest steht, dass hier nicht versucht wurde, den Dichter zu demontieren, sondern man sich in jeglicher Hinsicht verehrend vor ihm verbeugte und ihn als das wahrnahm, was er letztlich ist und war – ein Mensch mit allen Fehlern und Stärken eines in voller tiefster Menschlichkeit gelebten Menschenlebens.

Birgitta Linde, Autorin & Regisseurin
Weitere Aufführung sind in Planung. Die Tournee wird durch ganz Deutschland gehen. Die Tourneedaten erfahren Sie hier: Tourdaten)



1Aus: Zur Jugendschriftenfrage. Eine Sammlung von Aufsätzen und Kritiken. Herausgegeben von den Vereinigten deutschen Prüfungs-Ausschüssen für Jugendschriften. Leipzig, Verlag von Ernst Wunderlich. 1903, S.22-25. Reprint in: Siegfried Augustin: Für und wider Karl May. Aus des Dichters schwersten Jahren. KMG-Presse, Ubstadt 1995. (=Materialien zur Karl-May-Forschung Band 16)







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