Direkt zum Hauptbereich

Sunrise auf Moriah - Patrick Roth liest aus 'seinem' Buch Joseph



Es war schon eine mehr als außergewöhnliche Erfahrung, die die zirka vierzig Zuhörer und Zuschauer am Abend des 18. Aprils 2013 im Priester- und Bildungshaus Berg Moriah in Simmern/Ww (Nähe Vallendar und Koblenz) machen durften, denn das, was der deutsche Schriftsteller und Regisseur Patrick Roth (*1953) in seiner Lesung mit anschließender Fragerunde – die Signierstunde war natürlich obligatorisch – darbot, ging weit über das übliche Angebot einer Autorenlesung hinaus. Doch wer ist dieser Patrick Roth, den ich zugegebenermaßen bis zu diesem Abend weder kannte, geschweige denn, dass ich je von ihm gehört hatte – was wohl allerdings an der Provinzialität des Westerwaldes liegen wird, aus der man nicht nur sehr schwer herauskommt, sondern innerhalb der man auch relativ wenig von dem mitbekommt, was so in der großen weiten Welt geschieht.
 

Patrick Roth ist zunächst und zuallererst einmal ein äußerst charismatischer und spiritueller Zeitgenosse, der, seinem umfangreichen Wikipedia-Profilzufolge, als Cineast und Filmfan in Paris begann, dann aber über den großen Teich nach Amerika ging, um dort Schauspielunterricht bei Daniel Mann(1912-1991) zu nehmen und das Handwerk eines Filmemachers zu erlernen. Er ließ sich in Santa Monica bei Los Angeles nieder, wo er 1975 durch ein Stipendium des DAAD an der University Of Southern California ein filmtechnisches und filmwissenschaftliches Studium begann. Erst 2012 kehrte er völlig nach Deutschland zurück; seine Wurzeln liegen in Freiburg im Breisgau. Er produzierte Filme („The Boxer“ (1978), „The Killers“ (1980)), führte Regie, schrieb Drehbücher, Hörspiele und Theaterstücke, die er selbst inszenierte, und fand langsam auch zum literarischen Schreiben, dessen erste bedeutende Errungenschaft sein Roman „Riverside“(1991) darstellte. Zu seinem literarischen Oeuvre gehören allerdings auch eine stattliche Anzahl von Novellen und Erzählungen. Eine enorme Vielseitigkeit.



Und genau das umgibt diesen Mann, enorme Vielseitig- und Vielschichtigkeit, der Hauch der Freiheit der großen weiten Welt, ein wenig das Flair der unendlich weiten Welt des Films, verbunden mit einer gottlob nicht verbildeten Intellektualität. Seine Augen sind hellwach und durchgeistigt, und 2006 war er sogar Stadtschreiber von Mainz – man erinnere sich an den Artikel über Peter Stamm, den diesjährigen Stadtschreiber von Mainz auf diesem Blog.



Und dieser Mann, dieser „erratischen Solitär in der Gegenwartsliteratur“ (Anja Hirsch in der FAZ vom 18. Mai 2012 und Uwe Schütte in der Wiener Zeitung vom 26./27. Mai 2012), war nun gebeten worden, im Rahmen eines religionspädagogischen Fortbildungsseminars des Bistums Limburg aus seinem 2012 erschienenen Roman „Sunrise. Das Buch Joseph“ zu lesen und im Anschluss daran Fragen zu beantworten. Und das tat er auch – mehr als ausführlich, denn seine Antworten auf die Fragen waren kleine Essays für sich, ausführlich, episch, anregend.



Worum geht es in Sunrise? Auf eine ausführliche Besprechung des Romans möchte ich hier verzichten, das geschah schon ausreichend an anderer Stelle von profunderer Hand. Daher nur ein paar kurze persönliche Eindrücke: Es geht um einen oft verkannten biblischen Helden, einen Mann, dessen eigentliche Besonderheit darin besteht, eine junge Frau, die nicht von ihm schwanger ist und mit der er verlobt ist, eben nicht allein zu lassen, obwohl er das zunächst in Betracht zieht, sondern fest zu ihr zu stehen und den Sohn, der aus der Schwangerschaft erwächst, als seinen eigenen anzunehmen und großzuziehen. Kurz, es geht um Joseph, den Mann Marias, den Ziehvater des Jesus von Nazareth. Seine Leistung kann, gemessen an den Gepflogenheiten der damaligen Zeit und den Gebräuchen und harten Gesetzen des pharisäischen Judentums gar nicht hoch genug bewertet werden.


In der Bibel erfahren wir relativ wenig über diesen großen Mann, der heute noch als ultimatives Vorbild für alle Väter gelten sollte, vor allem für solche, die „überraschend“ und „unerwartet“ Vater werden. Roth schreibt nun die fiktive Geschichte dieses Mannes und er tut es in einer besonderen Art und Weise, einer unzeitgemäßen, schwierigen, oft für junge Ohren sehr anstrengenden Sprache, die aber einen ganz tiefen, urtümlich anmutenden, geradezu archaisch wirkenden Duktus und Rhythmus aufweist. Auf diese Sprache reagierten die Zuhörer ganz unterschiedlich – und das war auch gut so: Während die einen fasziniert lauschten, teilweise sich mit geschlossenen Augen hineinziehen ließen in das Geschehen, dass Roth lesend entfaltete, rutschten die anderen auf ihren Sitzen herum, versuchten „durchzuhalten“, versuchten mühsam die Mauer zu erklimmen, die sich vor ihrem Verständnis des Textes auftürmte.


Roths Lesart war unaufdringlich, ohne große Theatralik, einem Kammerspiel mit kleinen aber feinen Gesten ähnlich. Im Umgang mit seinen Lesern und Zuhörern war er sehr sympathisch, einfach und interessiert an allem, was ihm entgegenschlug, dennoch aber setzte er auch Grenzen, was die Beantwortung spezieller Fragen betraf, die er einfach nicht als sinnvoll erachtete, sie ganz und völlig zu entfalten, da das dem Roman ein wenig die Rezeptionsmöglichkeiten nähme.
 



Alles in allem also ein gelungener, inspirierender Abend, der neugierig gemacht hat und die Hoffnung auf weitere Werke dieses deutschen Ausnahmeschriftstellers und Künstlers weckt.



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fundstück: Briefwechsel mit H.G. Francis (1936-2011), dem Vater der Kassettenkinder

Quelle Wie schon so einige Male zuvor, so hat auch dieses Mal wieder das Aufräumen und Durchsehen alter Unterlagen ein wirklich interessantes Dokument zu Tage gefördert, dass ich jetzt, immerhin fast elf Jahre danach, wohl ohne Bedenken der Öffentlichkeit anvertrauen darf – es handelt sich um den kurzen aber prägnanten Briefwechsel, den ich mit H. G. Francis  (1936-2011) im Jahr 2004 führen durfte. Er, der mit bürgerlichem Namen Hans Gerhard Franciskowsky lautete und den ich gerne den „Vater der Kassettenkinder“ nennen möchte, hat mit seinen Geschichten, vor allem mit seinen Hörspielen mein ganzes Leben von frühester Kindheit an begleitet, hat durch sein sehr moralisches pädagogisches Schreiben und Erzählen mein Werteverständnis ganz stark mitgeprägt. Ich kannte ihn als Autor der drei Fragezeichen , von Commander Perkins und Perry Rhodan , aber auch von so illustren Geschichten wie die der Masters Of The Universe , für deren deutsche Markteinführung er die Hintergrundstory nur anh...

Kehlmann kafkaesk – Poetik-Dozentur in Landau im Grenzgebiet von Literatur und Film

Landau liegt tief im südwestlichen Rheinland-Pfalz, und ist ein idyllisches kleines Städtchen, welches die eine Hälfte der Universität Koblenz-Landau beherbergt. Die andere Hälfte liegt weiter nördlich, eben, wie es der Name schon sagt, in Koblenz am Rhein , der Stadt, wo Rhein und Mosel am Deutschen Eck unter den Augen des gestrengen Kaisers Wilhelm I. Hochzeit halten. Und obwohl die beiden Universitäten eigentlich eine Gemeinschaft bilden, gibt es doch hin und wieder Dinge, die dann nur jeweils einer Hälfte vorbehalten bleiben; so auch hier. Der Schauplatz war die beeindruckende Jugendstil-Festhalle in Landau. Das Zentrum für Kultur und Wissendialog , kurz ZKW, in Landau hatte die diesjährige Poetik-Dozentur an den österreichisch-deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann verliehen, der wohl mit Fug und Recht als der derzeit bedeutendste deutschsprachige Gegenwartsschriftsteller bezeichnet werden darf. Sein Roman „ Die Vermessung der Welt “ (2005), in dem er den biographischen S...

Koblenz am Lake Okeechobee

Kommentar zum 5. Koblenzer Literaturpreis 2012  Die Preisträgerin des fünften Koblenzer Literaturpreises steht fest! Eigentlich sollte das ein Grund zum Gratulieren sein, wenn eine relativ kleine, im Vergleich mit den großen Metropolen Deutschlands relativ unbedeutende Stadt wie Koblenz – nunmehr zum fünften Mal – einen Literaturpreis ausschreibt und auch vergibt. Und es ist kein unbedeutender Preis, immerhin ist er der Bestdotierte des Landes. 2012 hat er einen Wert von 13.000 Euro und wird gefördert vom Theater der Stadt Koblenz und der Universität Koblenz-Landau, sowie den jeweiligen Freundeskreisen.  Hier einige Passagen aus den Ausschreibungen und von der Website des Literaturpreises: „1999 ins Leben gerufen, zeichnet der Koblenzer Literaturpreis alle drei Jahre die experimentelle Umsetzung von Themen aus dem Land an Rhein und Mosel und über die Landesgrenzen hinaus aus. Der Preis will zugleich Mut machen und finanziell fördern, neue literarische Wege zu gehen. Damit wird...