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Von Feldwegen und Sommergästen - Peter Stamm in Mainz


Der Schweizer Journalist und Schriftsteller Peter Stamm (*1963 => Homepage), gehört wohl inzwischen zu den bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Roman "Agnes" (1998) und seine Erzählungen ("Blitzeis", 1999). Jetzt hat ihn die Stadt Mainz gemeinsam mit den Fernsehsendern ZDF und 3Sat zum Stadtschreiber des Jahres 2013 gemacht. Damit ist er der 29. Stadtschreiberseit Wiederbelebung dieses Amtes im Jahr 1984.
 

Gestern Abend nun fand seine Antrittslesung im Ratssaal des Mainzer Rathauses statt. Ein elegantes, sehr angemessenes Ambiente, wie ich fand. Ich war mit einer Bekannten hingefahren, um jenen Autor persönlich zu erleben und zu hören, den ich vor einigen Jahren durch die Empfehlung eines Literaturprofessors an der Universität Koblenz-Landau kennen gelernt hatte.

 
Es war ein Seminar über junge zeitgenössische deutschsprachige Autoren gewesen, und Stamm wurde damals in einer Reihe mit Judith Hermann (*1970 => Homepage), Daniel Kehlmann (*1975 => Homepage), Julia Franck (*1970 => Homepage) und Tanja Dückers (*1968 => Homepage) genannt und vorgestellt. In diesem Seminar lasen wir Auszüge aus dem oben erwähnten Erzählband "Blitzeis" (1999) und den Roman "Agnes" (1998).

 
Über Peter Stamm ist eine Menge geschrieben worden und weitaus renommiertere Kritiker als ich haben sich zu seinem Werk geäußert, man braucht eigentlich nur einmal einen Blick in die Zusammenstellung der Aussagen über ihn beim Perlentaucherzu werfen. Darin wird er sehr unterschiedlich beurteilt, von „scheinbar so einfachem“ Schreiben ist da die Rede, von „lakonischen Sätzen“, „unauffällig stimmungsvollen Szenen“, aber auch von „schwer verdaulich“, „nicht besonders anspruchsvoll“, „leichte Kost gegen die Langweile“, „zwar sprachlich ambitioniert“, „trivialisiertem Camus-Helden“, fehlender „Originalität und Spannung“, sowie „Rosamunde-Pilcher-Stories“. Allerdings wird ihm auch eine gewisse „erzählerische Selbstironie“ zugestanden.

 
Nun, solche Kritiken mögen wichtig für den aktuellen Literaturbetrieb sein – und sie waren es wohl schon in vorigen Jahrhunderten – man denke zum Beispiel an Eduard Hanslick (1825-1904) – und die Leute, die sie verfassen, mögen sich für wichtig halten, allerdings ist doch letztlich das Brot des Autors, des Schriftstellers seine Leserschaft und was diese von seinen Geschichten hält.
 
 
Ich jedenfalls habe mir angewöhnt, mir meine Meinung immer selbst zu machen. Wenn ich Kritiken lese, interessiert mich daran eigentlich immer nur, ob ich selbst sie bestätigt finde oder ob ich dazu eine völlig andere Meinung habe.
 
 
Betont lässig kam er rüber, der Peter Stamm! In einer einfachen beige-grünen Hose mit einem dünnen weißen Hemd, dessen Ärmel bis zum Unterarm hochgekrempelt waren und in dessen Brusttasche der obligatorische Kugelschreiber steckte, betrat er, die Hände in den Hosentaschen und die Jacke unter den linken Arm geklemmt, den Ratssaal, wo ihn eine Menge Menschen erwarteten und sogleich stürmten Anzugträger und Kameraleute auf ihn ein und umringten ihn. 


Die Sitze im Ratssaal sind kreisförmig angeordnet, so dass es keinen bevorzugten Sitzplatz gibt, gleich einer Arena, einer Manege, aber diese Anordnung erinnerte auch irgendwie an alte Hörsäle in noch älteren Universitäten, wo der Professor in der Mitte des Kreises stand und seine im Kreis um ihn herum positionierten Studenten lehrte. Und gleich einem solchen Professor setzte sich Stamm nach der offiziellen Begrüßung in die Mitte an einen kleinen Tisch, auf dem neben dem obligatorischen Glas Wasser eine Reihe von Mikrophonen standen. Zwei Bücher hatte er in den Händen, aus denen er jeweils eine Erzählung vorlas - „Geschichten“, wie er es nannte, ausgewählt hatte er die Texte wohl selbst.
 
 
Zum einen war es die Erzählung „In die Felder muss man gehen ...“ aus dem Erzählband „Wir fliegen. Erzählungen“ (2008) und zum anderen die Erzählung „Sommergäste“ aus dem Erzählband „Seerücken. Erzählungen“ (2011). Und unterschiedlicher konnten die beiden Texte nicht sein:
 

Die erste Erzählung, hochphilosophisch, als nachdenkliche Adresse formuliert, dass der Leser, bzw. in diesem Fall der Zuhörer, sich durch das ständige „du“immer direkt angesprochen fühlte. Stamm entfaltete hier die Anatomie einer Künstler-Biographie, eines Lebens, welches, obwohl es ohne weiteres hätte ganz anders verlaufen können, doch genau so verlaufen musste, wie es verlief. Und – quasi im Vorbeigehen, so, wie man an einer Bildergalerie entlang schreitet, hier und da stehen bleibt, um eines der Bilder näher in Augenschein zu nehmen und an anderen Bilder zügig vorbeiläuft, aus irgendeinem unbestimmten Grund gerade diesem Werk kaum Beachtung schenkend – entfaltet Stamm die philosophische Sicht der Welt des Du's, welches ja auch man selbst sein könnte. Ein Text, der letztlich in der Banalität des Alltäglichen ankommt und dort langsam verebbt.
 
 
Die zweite Erzählung berichtet von einem als Arbeitsurlaub begonnenen Aufenthalt eines Mannes, der ein Referat über Maxim Gorki(1869-1936) überarbeiten möchte, und dazu Ruhe benötigt, in einem einsamen Hotel, in dem er der einzige Gast zu sein scheint. Das Hotel wirkt heruntergekommen, die einzige Person außer ihm ist eine Frau namens Anna, die als Wirtschafterin daherkommt, allerdings keinerlei Ambitionen zeigt, den Gast zu bewirten. Nichts funktioniert in diesem Hotel, weder Strom, noch Wasser, noch sonst irgendein Komfort – vom Essen einmal ganz zu schweigen. Trotz allem bleibt der Mann und richtet sich irgendwie ein, immerhin hat er für zwei Wochen bezahlt. Eine merkwürdige, fast schon surreal anmutende Beziehung entwickelt sich zwischen ihm und Anna, die in einer Berührung gipfelt, nach der sich schlagartig alles verändert. Anna verschwindet spurlos und als eines Morgens zwei Männer auftauchen und erklären, dass das Hotel schon lange geschlossen ist und man keine Frau namens Anna kenne, beginnt auch der Zuhörer sich zu fragen, ob Anna wirklich existiert hat, oder ob es sie überhaupt nicht gegeben hat und alles nur ein Traum war. "It was all a dream", um ein Zitat von Leonard Bernstein (1918-1990) zu bemühen, das könnte die Quintessenz dieses Textes sein, der mit einer gehörigen Portion stillem, dennoch aber sehr beißendem Humor daher kommt, bei dem einem das Lachen im Hals stecken bleiben will.


Es ist selten, dass ein Autor auch eine angenehme Vortragsstimme hat. Bei Stamm ist das allerdings so, eine sonore, warme, sehr wohlklingende und gut modulierende Stimme, mit einem kaum merklichen Schweizer Idiom, was doch für das Zuhören sehr angenehm ist, kurz: man hört ihm gerne zu und der Bann, der oftmals von seinen Texten ausgeht, jene Form von „Lese-Fessel“, die den Leser an seine Texte bindet, übermittelt sich erst recht im Vortrag dieses sympathischen Autoren, dem Selbstgefälligkeit, Starallüren oder jedwede Art von Arroganz oder Überheblichkeit völlig fremd zu sein scheinen.
 

Sympathisch auch der kurze Wortwechsel, als er mir mein Exemplar von Seerücken.Erzählungen signierte. Ich bedankte mich für den netten Mailwechsel, den ich vor einiger Zeit mit ihm geführt hatte, als ich mit meiner 10. Klasse seinen Roman „Agnes“ gelesen und besprochen hatte. Er erinnerte sich sogar daran. Dann bemerkte er, dass ich meinen Namen vorne ins Buch geschrieben hatte, und fragte, nachdem er augenzwinkernd festgestellt hatte, dass „da ja schon ein anderer hineingeschrieben hätte“, ob ich mir das „angemaßt“habe, was ich natürlich lächelnd verneinte und weit von mir wies. Es sei eben meine Art, meine Bücher zu markieren. 
 

Was bleibt nun von einem solchen Abend? Unterm Strich eine ganze Menge, denke ich. Wenn man schon einmal die Gelegenheit bekommt, einen solch renommierten Gegenwartsautoren live zu erleben, dann sollte man das auch wahrnehmen. Und um Peter Braun (*1960) zu zitieren: „(..) und oft werden Bücher noch weit spannender durch das Wissen um die Lebensgeschichten derer, die sie schrieben.“



Einziger Wermutstropfen des Abends: Die Stadt Mainz schenkte Peter Stamm das „kleinste Buch der Welt“, ein Touristensouvenir, was jeder für kleines Geld käuflich in Mainz erwerben kann. Ein wenig peinlich für eine Stadt wie Mainz, wie ich finde, auch wenn das Preisgeld für den Stadtschreiber doch recht stattlich ist.

Denken Sie einmal darüber nach.



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