Dritte Sünde-Aufführung lässt den Teufel in Höhr-Grenzhausen alt aussehen.
„Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie!“ - Dies ist die Antwort von Jesus von Nazareth, als er eine Frau vorgeführt bekommt, die auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden ist. In solchen Dingen ist das jüdisches Gesetz zur biblischen Zeit unerbittlich. Darauf kann es nur eine Strafe geben: den Tod durch Steinigung. Und genau das wollen die Pharisäer nicht hören. Sie wollen, dass Jesus eine Anweisung entgegen der jüdischen Gesetze gibt. Doch der spielt nicht mit. Er geht ihnen nicht in die Falle und findet eine Lösung, die alle beschämt und die bereits erhobenen Steine fallen lassen lässt: Nur derjenige soll auf die Beschuldigte werfen dürfen, der selber absolut frei von moralischen Makeln ist, der absolut frei von SÜNDE ist.
Und genau darum geht es in Peter Wayand's Schauspiel SÜNDE, das – nun bereits zum dritten Mal – am Samstag, 20.10.2012, um 18 Uhr auf der Aulabühne der Ernst-Barlach-Realschule plus in Höhr-Grenzhausen zur Aufführung gelangte. Was ist also „Sünde“? Ein biblisches Relikt, dem man heute keine Bedeutung mehr beizumessen braucht? Ein Begriff, der nur noch Theologen und Kleriker interessiert und den wir heute durch modernere juristische Ausdrücke wie „Schuld“ oder „Verbrechen“ zu ersetzen versuchen? Ist „Sünde“ eine moralische oder auch eine rein praktische Instanz?
All das wird im Schauspiel auf mehreren Schauplätzen im Rahmen einer ländlich-dörflichen Öffentlichkeit verhandelt. In Sindorf, einem kleinen Ort irgendwo auf dem Land, leben das italienische Flüchtlingspärchen Romano (Sascha Nauroth) und Giulia (Anna Sophia Zittel), der türkische Gemischtwarenhändler Mehmet (Marius Draeger) und seine Frau Hatice (Natalia Samigullin), der jüdische Schreinermeister Jeschua (Michael Hintz) und seine Frau Magdalena (Saskia Lenz), Manni, der Fußballtrainer der E-Jugend (Manuel Engels), die Friseurin Esther (Mareike Schmidt), der Franziskanerpater Johannes, der Pfarrer der Gemeinde Sindorf (Peter Wayand), der Bürgermeister Zachäus (Marius Hohlstamm) und dessen Sekretärin Judith König (Laura Kind). Ihre scheinbare Idylle, die geprägt ist von Giulias Nörgeleien, Romanos Unzufriedenheit mit seiner Situation, Mehmets Arroganz, Hatices krampfhaftem Festhalten am Bild der intakten Beziehung, Mannis sexueller Frustration, dem Gebaren des Paters um eine „saubere“ Gemeinde, der Korrumpierbarkeit der Verwaltung und der dazu in scharfem Kontrast stehenden absoluten Harmonie von Jeschua und seiner Frau, wird auf eine harte Probe gestellt, als eines Morgens der Wohnwagen der Prostituierten Lucias Ferres (Burcu Yesilyurt) auf dem Marktplatz steht, direkt vor Mehmets Laden und vis-a-vis der katholischen Kirche.
Lucia beginnt, die Gemeinde Stück für Stück aufzumischen. Russel (Christian Müller) und Tazek (Jakup Murtezi), zwei Zeugen Jehovas versuchen erfolglos zu intervenieren. Aus der anfänglichen amüsierten Neugier der Anwohner wird schnell Ablehnung, aus der Ablehnung Hass und aus dem Hass der Wunsch, Ferres zu beseitigen und am dritten Tag ist die Unruhestifterin tatsächlich tot. Erstochen wird sie in ihrem Wohnwagen aufgefunden. Wer hat sie wohl umgebracht? Wer hatte ein Motiv zur Tat und die Kaltblütigkeit, die Tat zu begehen, während Manni, der einzige Freier, neben ihr schlafend lag?
Diesen Fragen versucht die äußerst taff auftretende Kommissarin Ruth Richter (Katharina Maria Mühlenhöver) nachzugehen. Doch ohne Erfolg, wie sich herausstellt. Jeder hätte ein Motiv zur Tat gehabt: Giulia und Romano fühlen sich in ihrer moralischen Abgeschiedenheit bedroht. Der türkische Gemischtwarenhändler Mehmet und seine Frau Hatice fürchten um Einbußen in ihrem Laden, wenn dieses Gefährt direkt davor steht. Pater Johannes gibt an, während seines Besuchs in ihrem Wohnwagen fast von ihr vergewaltigt worden zu sein. Dem Bürgermeister kann sogar ein Verhältnis mit der Prostituierten nachgewiesen werden und dessen Sekretärin ist augenscheinlich ziemlich eifersüchtig auf jede Frau in seiner Nähe. Nur der im ganzen Ort bekannte und beliebte Schreinermeister Jeschua mit seiner Frau Magdalena scheint sich zunächst herauszuhalten und baut munter am Dachstuhl für die neue Gemeindehalle weiter.
Schließlich und endlich bleibt der Kommissarin nur eines. Ein Deal mit dem korrupten Bürgermeister soll Licht in diese Angelegenheit bringen. Doch letztlich kommt alles anders. Die Friseurin Esther, die immer da ist, „wo ich hingehöre: Mitten im Geschehen und mitten unter den Menschen!“, entpuppt sich als der Teufel höchstpersönlich und Lucia Ferres, deren Name eine Ableitung der Bezeichnung „Luzifer“ ist, ist ein Dämon, den Esther in einem konterkarierenden biblischen Akt wieder zum Leben erweckt und der vor versammelter Gemeinde erklärt, weswegen das alles so hat stattfinden müssen. „Den Spiegel vorgehalten hab ich ihnen“, konstatiert der Teufel und versteht nicht – und versteht wohl niemals – weswegen Gott den Menschen so sehr liebte, dass er nicht nur seinen einzigen Sohn den Kreuzestod erleiden ließ, sondern auch seinen besten, schönsten und geliebtesten aller Engel aus dem Himmel auf die Erde werfen ließ. Und wieder einmal hat der Teufel versagt.
Doch damit ist das Stück nicht an seinem Ende. Das wäre zu banal, zu einfach, nein, es folgt noch eine allerletzte Sequenz, ein Nachspiel sozusagen, das im Himmel angesiedelt ist und in dem, angelehnt an eine Szene aus der geheimen Offenbarung des Johannes, die vier Erzengel Michael, Gabriel, Raphael und Uriel sich nach dem Kampf im Himmel darüber klar werden, dass sie selbst es waren, die die Menschheit in die Gefahr gebracht haben, da sie Luzifer einfach so gestürzt haben, ohne ihn anzuhören und ohne sich mit ihm auseinanderzusetzen. Damit wird dem Mensch erstmalig nicht die Schuld an der Welt und dem Verhalten der Menschen direkt gegeben, sondern es wird nach einer höheren Instanz gesucht, die diese Schuld auf ihre Schultern nehmen und auch wirklich bewältigen kann. Diese Szene ist von ihrer Ausstattung, ihren Kostümen und ihrer oppulenten un dramatischen Wirkung der absolute Höhepunkt der Inszenierung. Dennoch bleibt letztlich die Erkenntnis, dass der ewige Kampf zwischen Gut und Böse niemals enden wird, da das eine Extrem ohne das andere niemals definierbar ist und somit beide Positionen existieren müssen bis in alle Ewigkeit.
Die Besucher erlebten ein hervorragend aufgelegtes Ensemble, das frisch und professionell aufspielte und nicht mit Situationskomik und witzigen Einfällen sparte, eine ebenso professionelle Licht- und Tontechnik (vps Musik Wirges) und eine witzige bis nachdenkliche Inszenierung, die Lust auf weitere Stücke dieser Art machte.
Veranstalter war die Verbandsgemeinde Höhr-Grenzhausen, die Ernst-Barlach-Realschule plus Höhr-Grenzhausen und der Türkisch-Islamische Kulturverein e.V. DITIB. Aufgeführt wurde das Stück im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zauber der Kulturen“ während der „interkulturellen Wochen“ Höhr-Grenzhausen und gefördert wurde es durch das Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ des Bundesfamilienministeriums.
(Eine leicht gekürzte und eingerichtete Version dieses Artikels erschien am 01.11.2012 im Kannenbäcker-Kurier Nr. 44, Jahrgang 46, auf Seite 21 und 22.)
(Eine leicht gekürzte und eingerichtete Version dieses Artikels erschien am 01.11.2012 im Kannenbäcker-Kurier Nr. 44, Jahrgang 46, auf Seite 21 und 22.)
Kommentare
Kommentar veröffentlichen