Direkt zum Hauptbereich

Miss Sara Sampson & Emilia Galotti - Briefwechsel

Und wieder mal fand ich beim Aufräumen eine kleine Kostbarkeit, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte. 

Im Wintersemester 2010/2011 entstand, im Rahmen des Seminars über das Bürgerliche Trauerspiel in der Sitzung vom 19.11.2010 bei Prof. Dr. phil. Helmut Schmiedt folgender fiktiver Brief.

Hintergrund war eine Aufgabenstellung zum Vergleich der Lessing-Dramen "Miss Sara Sampson" und "Emilia Galotti". Um beide Stücke besser miteinander vergleichen zu können, verglichen wir einzelne Personen aus diesen Stücken miteinander, die in etwa vergleichbare Positionen in den jeweiligen Stücken vertraten. (Ich gebe zu, dass dieser Satz grausam ist, wenn ich gleich dreimal die Wortfamilie des Begriffs "vergleichen" bemühen muss. Aber mir fiel beim besten Willen keine andere Formulierung dazu ein.) 

Um diesen Vergleich ansprechend zu gestalten, sollte eine Person aus dem einen Stück ihrer ihr entsprechenden Person des anderen Stücks einen Brief schreiben. In meinem Fall musste ich aus der Sicht von Sara Sampson einen Brief an Emilia Galotti schreiben. Folgendes kam dabei heraus:

Juli 1755 

Meine liebe Emilia,



nun, da ich tot bin, kann ich dir endlich einmal in Ruhe schreiben und dir auf deine Frage in aller Ausführlichkeit antworten, was mich denn nun in den Tod getrieben habe. Ach Gott, ja, es war schon eine echte Tragödie, das alles, und doch, auch wenn mir oft vorgeworfen worden ist, meinem Tod mangele es an einer plausiblen Motivation und allem, was mir passiert ist, fehle es an Stringenz, so muss ich dir doch sagen, dass es ja so kommen musste. Ich war eben jung, in Liebesdingen völlig unerfahren, von Vater und Liebhaber völlig alleingelassen und einer aggressiven und wolllüstigen Furie wehrlos ausgeliefert. 

Doch der Reihe nach. Wenn man sich von einem charakterschwachen, wankelmütigen Manne wie Mellfont verführen lässt, mit ihm durchbrennt und sich in einem drittklassigen Provinzgasthof verschanzt, dann kann das ja nicht gutgehen. Ich habe ihn angefleht, ihn angebettelt, dass er mich heiraten möge, um mich aus dieser doch recht unseligen Lage zu rehabilitieren, doch er hat sich immer wieder herausgewunden. 

Mein Vater war mir nachgereist, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben, im selben Gasthof abgestiegen und hatte dort inkognito Quartier bezogen. Ach, mein guter Vater, aber auch er war zu schwach, wie ich mich überhaupt immer nur in Gesellschaft schwacher Männer befunden habe. Er hatte den Verführer doch ins Haus geholt. Er hatte, als er seinen Fehler erkannte, nicht konsequent genug gehandelt, sondern mich mit meiner, ich muss es leider eingestehen, moralischen Starrheit und Unselbständigkeit im Stich gelassen. Er hatte mich damit schutzlos der aggressiv-erotischen Eifersucht meiner Rivalin preisgegeben, einer Rivalin, liebste Emilia, das musst du mir glauben, die ihresgleichen nicht hat auf dieser Welt. 

Marwood, so ihr Name, wurde mir erst von meinem feinen Herrn Liebhaber als Verwandte vorgestellt, entdeckte sich mir dann aber als seine ehemalige Geliebte, die er mitsamt seiner unehelichen Tochter sitzen gelassen hatte. Sie war sehr erfahren in Liebesdingen, oh ja, war von agressivem und expressivem Wesen und ihrem Auftreten nach eine fraulich-reife Erscheinung, der ich junges, dummes, tugendhaft-verführtes Mädchen nichts, aber absolut nichts entgegen zu setzen hatte. Brüsk und frech trat diese Person auf, nachdem sie zuvor vorgab, zutiefst gedemütigt und völlig zurückgestoßen von Mellefont zu sein, womit sie mich völlig an die Wand spielte. Doch am härtesten traf mich ihre unverschämte Ankündigung, dass mich Mellefont ebenso wie sie in Kürze beiseite schieben und verlassen werde. 

Sie war mir so ähnlich, diese verstoßene, gedemütigte und altgewordene Geliebte. Sie durchschaute meinen liebenswürdig-schwachen Verführer, entlarvte seine Untauglichkeit zu Ehe. Sie machte mir klar, mir, der ich das wohl durch meine Tugend bedingte Arroganz nicht wahrhaben wollte, geschweige denn sehen konnte, dass zur Liebe wohl jenes erotische Unterfutter gehört, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt weder etwas gehört, noch irgendeine Ahnung hatte. Mellefont jedenfalls war triebhaft und haltlos, und als ich das erkannte, war es zu spät. Er wurde zu einem Werkzeug Marwoods, welches ihr half, den Weg ihrer Intrige zu ebnen. 

Ob das Gift von ihr war, das mich letzten Endes umbrachte, weiß ich nicht genau, dennoch aber nehme ich es an, denn sie ist die einzige, die ein wirkliches Motiv zur Tat gehabt hat. 

Sei nicht traurig, dass es so gekommen ist. Ich hoffe, du machst keinen ähnlichen Fehler wie ich. Unsere Familien sind oftmals nur vordergründig das, was wir dafür halten. Gleichsam einer Ideologie verklären wir oft, ohne die Menschlichkeit in Betracht zu ziehen und insbesondere die menschliche Schwächen und so will ich mich auch bescheiden. 

Behalte mich stets in guter Erinnerung und halte mein Angedenken in Ehren.

Deine Sara

Kommentare

  1. Sara muss doch genau wissen, dass das Gift von Marwood war, da sie den Zettel gelesen hatte...

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Fundstück: Briefwechsel mit H.G. Francis (1936-2011), dem Vater der Kassettenkinder

Quelle Wie schon so einige Male zuvor, so hat auch dieses Mal wieder das Aufräumen und Durchsehen alter Unterlagen ein wirklich interessantes Dokument zu Tage gefördert, dass ich jetzt, immerhin fast elf Jahre danach, wohl ohne Bedenken der Öffentlichkeit anvertrauen darf – es handelt sich um den kurzen aber prägnanten Briefwechsel, den ich mit H. G. Francis  (1936-2011) im Jahr 2004 führen durfte. Er, der mit bürgerlichem Namen Hans Gerhard Franciskowsky lautete und den ich gerne den „Vater der Kassettenkinder“ nennen möchte, hat mit seinen Geschichten, vor allem mit seinen Hörspielen mein ganzes Leben von frühester Kindheit an begleitet, hat durch sein sehr moralisches pädagogisches Schreiben und Erzählen mein Werteverständnis ganz stark mitgeprägt. Ich kannte ihn als Autor der drei Fragezeichen , von Commander Perkins und Perry Rhodan , aber auch von so illustren Geschichten wie die der Masters Of The Universe , für deren deutsche Markteinführung er die Hintergrundstory nur anh...

Kehlmann kafkaesk – Poetik-Dozentur in Landau im Grenzgebiet von Literatur und Film

Landau liegt tief im südwestlichen Rheinland-Pfalz, und ist ein idyllisches kleines Städtchen, welches die eine Hälfte der Universität Koblenz-Landau beherbergt. Die andere Hälfte liegt weiter nördlich, eben, wie es der Name schon sagt, in Koblenz am Rhein , der Stadt, wo Rhein und Mosel am Deutschen Eck unter den Augen des gestrengen Kaisers Wilhelm I. Hochzeit halten. Und obwohl die beiden Universitäten eigentlich eine Gemeinschaft bilden, gibt es doch hin und wieder Dinge, die dann nur jeweils einer Hälfte vorbehalten bleiben; so auch hier. Der Schauplatz war die beeindruckende Jugendstil-Festhalle in Landau. Das Zentrum für Kultur und Wissendialog , kurz ZKW, in Landau hatte die diesjährige Poetik-Dozentur an den österreichisch-deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann verliehen, der wohl mit Fug und Recht als der derzeit bedeutendste deutschsprachige Gegenwartsschriftsteller bezeichnet werden darf. Sein Roman „ Die Vermessung der Welt “ (2005), in dem er den biographischen S...

Von der Einsamkeit der Fiktion in der Realität – Bill Condons »Mr. Holmes« (2015)

Quelle »I fear that Mr. Sherlock Holmes may become like one of those popular tenors who, having outlived their time, are still tempted to make repeated farewell bows to their indulgent audiences. This must cease and he must go the way of flesh, material or imaginary. One likes to think that there is some fantastic limbo for the children of imagination, some strange, impossible place where the beaux of Fielding may still make love to the belles of Richardson, where Scott’s heroes still may strut, Dickens’s delightful Cockneys still raise a laugh, and Thackeray’s worldlings continue to carry on their reprehensible careers. Perhaps in some humble corner of such a Valhalla, Sherlock and his Watson may for a time find a place, ...« Mit diesen hoffnungsfrohen, im Stillen aber doch wohl mit einem Augenzwinkern niedergeschriebenen Worten verabschiedet sich Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) 1927, drei Jahre vor seinem Tod, im Vorwort von »The Case-Book of Sherlock Holmes« von seiner Schöp...