Es ist unglaublich – egal, wo ich hingehe, verfolgt mich dieser Kerl! Ich werde ihn nicht los. Es ist ja nicht so, dass er mich direkt belästigt, aber ich kann ja nirgendwo mehr hingehen, ohne dass er dort dann auch irgendwann auftaucht.
Und dieses süffisante Grinsen! Es nervt mich nur noch! Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen. Aber was werden die sagen? Werden die mir überhaupt glauben? Immerhin hat er ja auch das Recht, überall da zu sein, wo ich auch bin. Ich weiß es nicht. Was will der von mir?
Er spricht mich ja auch nicht an. Wenn es wenigstens das wäre. Er steht einfach nur da und grinst mich dämlich an! Ob er taub ist? Ja, das wäre eine Möglichkeit. Ich werde ihn das nächste Mal einfach ansprechen, ihn konfrontieren, ihm sagen, dass ich mich von ihm belästigt fühle.
Gott sei Dank habe ich im Moment keinen Freund! Das gäbe sicher Ärger!
Schlecht sieht er ja nicht aus, ein wenig mager vielleicht, schmales, spitze Gesicht, so ähnlich wie … ja, wie eine Ratte. Er wirkt unbeholfen, konservativ ist sein Kleidungsstil. Ob der sich irgendwelche Hoffnungen macht? Der würde doch nie zu mir passen. Allein schon diese abstehenden Ohren und der Pagenschnitt! Fürchterlich! Ich sehe auch keinerlei Freunde, er ist immer allein da.
Vielleicht sollte ich versuchen, ihn abzuhängen. Ja, eine gute Idee! Ich werde einfach jetzt zahlen und dieses Lokal verlassen. Draußen stehen immer einige Taxis, da werde ich eins von nehmen und ihm einfach davonfahren. Ja, so mache ich es.
Die Bedienung kommt. Ich sage, dass ich zahlen möchte. Sie nickt und geht. Hoffentlich dauert es nicht so lange. Das Colaglas vor ihm ist noch halb voll, er wird mir nicht so schnell folgen können.
He, ist das nicht ein bisschen teuer für meine zwei Getränke! Nein, ich gebe kein Trinkgeld diesmal. Ich packe mein Portmonnaie zurück in meine Handtasche. Jetzt heißt es schnell sein. Schnell aufstehen, die Jacke überwerfen, abhauen. Ich warte, bis er wegschaut. Na, nun schau schon in die andere Richtung! Los! Brav! Suggestive Beeinflussung oder so ähnlich nennt man das wohl. Jetzt schnell!
Endlich, ich bin draußen. Da, das Taxi, ich steige hinten ein. Der Taxifahrer brummt. Ich nenne mein Ziel. Er fährt los. Ich blicke aus der Heckscheibe. Ich sehe ihn nicht … doch, da kommt er! Er sucht mich, er ist verzweifelt. Ha! Geschafft.
Filmriss! Ich werde wach. Alles tut mir weh, ich kann mich kaum bewegen. Was ist passiert? Es ist nass, ich liege in einer Pfütze. Wo bin ich? So viele Menschen! Es ist dunkel, ich bin eingeklemmt, aber wie … das Auto … ich blicke mich um.
Vor mir sehe ich den Taxifahrer. Er liegt auf der Seite, seine Augen sind seltsam verdreht. Das Bild ist seltsam schief. Nein, ich bin schief! Ich … o nein, das Auto liegt auf der Seite. Der Fahrer ist … tot …
Durch das verschmierte, halbgesplitterte Fenster sieht jemand herein. Ich höre eine beruhigende Stimme. Ich höre diese Stimme zum ersten Mal, aber dennoch weiß ich, wessen Stimme es ist. Er ist es. Er holt mich hier raus, sagt er, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich solle ruhig bleiben.
Ruhig bleiben! Der hat Nerven! Ich frage mich immer noch, was eigentlich passiert ist. Ein Unfall vermutlich, ich bin eingeklemmt, das Auto liegt auf der Seite, ich habe Schmerzen. Es wird schwarz.
Ich erwache. Alles ist weiß. Ich liege in einem Bett. Mehrere Maschinen entlassen Schläuche, schlangengleich, in meinen Körper. Ich lebe. Und da steht ein Strauß Blumen. Es sind schöne Blumen. Ein Riesenschild hängt daran: Gute Besserung, Maus, alles wird gut. Na toll! Nicht einmal hier kann der mich in Ruhe lassen. Woher weiß der eigentlch, wo ich …
Ein Mann in Blau kommt herein. Er lächelt mild. Ah, ich sei wach, meint er, das wäre ein gutes Zeichen. Ob ich mich erinnern könne, was passiert sei, wer ich sei. Ja, ich kann es. Wie komme ich hier her?
Das Taxi hatte einen Unfall. Wenn mich nicht ein Mann aus den Trümmern gezogen hätte, wäre ich jetzt tot. Nein, bitte nicht das! Sollte mir mein Stalker etwa noch mein Leben gerettet haben? Jetzt werd ich ihn wohl nie wieder los … nie …
(Diese Kurzgeschichte entstand im Rahmen eines Seminars über Lyrik nach 1945 an der Universität Koblenz-Landau am 03.07.2011. Die dazugehörige Aufgabe war, im Rahmen eines handlungs- und produktionsorientierten Herangehens an ein Gedicht, eine Geschichte zum Gedicht zu entwerfen. Das Gedicht, auf das sich dieser Text bezieht, ist Robert Gernhardts "Der Zähe" von 1987.)
Kommentare
Kommentar veröffentlichen